Von Springhäschen und dem Spagat auf Elefanten

Illustration: Rebekka Heeb

«Wollt ihr auf einem Elefanten reiten?» – Pipi strahlte uns an. Ich strahlte weniger.

Natürlich gehören Elefanten zu meinen Alltagslieblingen – wie Glühwürmchen, Nilpferde und Vanilleeis mit Krokant drin. Aber ich habe Respekt vor den Tieren. Und schaue sie mir gerne von Weitem an. Es gab eine Zeit, als man auch im Basler Zolli auf Elefanten steigen durfte. Meine Eltern drängten mich, weil mein lieber Vater von einer seiner Drittfrauen eine Schmalfilmkamera auf Weihnachten geschenkt bekommen hatte.

Nun wollte er den Familienerben auf dem Rücken des Rüsseltiers bildlich festhalten. ABER ICH WAR KLEIN. UND DER ELEFANT GROSS. Da half auch das Versprechen auf drei Mohrenköpfe (die man damals noch so nennen durfte) nichts. ICH BOCKTE. SCHRIE ZETERMORDIO.

So kommt es, dass wir heute im Heimfilm nur einen verwackelten Vater auf dem grauen Runzelrücken haben. An Familientagen, wenn der Steifen jeweils gezeigt wird, kommt stets derselbe Spruch – und dies so sicher wie das Amen in der Kirche: «Der Hans hat in seinem Leben einfach alles bestiegen!»

Zurück zu Pipi. Und der Reiterei: «Es sind die einzigen zahmen Elefanten in Afrika. Ihr hüpft rauf. Und schon schreiten sie mit euch dem Sonnenuntergang entgegen…» UND WIE KOMMT UNSEREINS MIT DEN KRUMMEN BEINEN UND AUCH SONST EIN BISSCHEN TATTERIG DA HOCH?

Pipi führt uns zu einem riesigen Eisengestell. Der Elefant steht schon gutgelaunt davor. Er wirft immer wieder den Rüssel nach hinten. Das ist seine elefantöse Art zu sagen, dass er «Gudis» will – es ist nämlich so: Ähnlich wie man einen Ferrari mit Benzin volltankt, wirft man dem Elefanten die köstlichen Gudi-Würfel rein. Und ab geht die Post!

«Darf ich ihn umarmen?» Innocent schwebt seit er die Erde von Botswana betreten hat, auf Wolken. Zum Entsetzen aller will er konstant Löwen knuddeln, Paviane streicheln und mit Flusspferden schmusen. «DIE SIND DOCH ALLE GANZ LIEB!» – winkte er jedes Mal das Geschrei von Wärtern und unsern beiden Basler Buschschwestern ab.

Einmal konnten wir ihn nur mit Müh und Not daran hindern, mit jungen Wildhunden herumzutollen. Erst als die Wildhund-Mutter so viele Zähne zeigte wie bei einer Kukident-Reklame, war unserm Freund klar, dass er jetzt sofort in den Jeep hüpfen sollte.

Natürlich ist das Erlebnis unbeschreiblich: Innocent und ich gemeinsam auf dem sehr, sehr breiten Elefantenrücken. Dann: Vorne die Sonne, die irgendwo wie ein roter Feuerball in der Wildnis untergeht. ABER DIE BEINE SIND GESPREIZT! SEHR GESPREIZT. DENN DER ELEFANTEN­RÜCKEN IST BREIT. SEHR BREIT.

Und den Spagat habe ich schon im Ballett nicht hingekriegt – da konnte mich die gute Frau Bajoratis noch so niedermachen und plattdrücken. Nach einer Stunde komme ich total gerädert vom Tier runter. Es schaut mich wissend mit seinen schönen Augen an. Und Innocent klebt schon wieder an seinem Rüssel, um ihm zuzuflüstern, er sei der liebste Elefant der Welt.

Es ist seltsam: Wenn Innocent in Basel den Müll runterbringen oder eine Harasse raufbuckeln soll, schaut er immer ganz traurig: «Mit meinen Knochen geht das nicht mehr. Ich bin einfach zu wacklig. Überdies sind da meine beiden künstlichen Kniegelenke. Die könnten ausklicken und…» HIER ABER SPREIZT ER DIE BEINE WIE DIE ZIRKUSBALLERINA IN DER KUPPEL! UND KEIN KNIEGELENK KLICKT!

Meine Beine hingegen schmerzen nun, sodass ich herumwackle wie die alte Eierfrau. Kitti lacht: «Du hättest im Damensitz reiten sollen… und stell dir mal vor, was das arme Tier mit deinem Gewicht auf dem Buckel durchgemacht hat!»

Nun ja – wir wollen mal nicht so sein und bedanken uns beim Elefanten mit zwei Hand voll «Gudis» und einem Rüsselküsschen.

Das Allerschönste sind dann immer die frühen Morgen. Kurz nach fünf Uhr weckt uns der Guide: «Hello – good morning!»

UND AN DIESEM MORGEN IST WIRKLICH ALLES GUT: Der Himmel hat die Wolkenfarbtupfer eines Monet-Gemäldes. Pipi und Kitti warten bereits am grossen Feuer. Es gibt Porridge mit Honig. Und schon ist da wieder die Sonne von Afrika. Dieses Mal kommt sie als goldglänzende Messingkugel. Sie hievt sich über die öde Steppe ins lila-blau-rosige Wolkenbild hoch. Und schüttet nun über die Landschaft mit ihren dörren Bäumen, Büschen und Ästen ein zauberhaftes Licht aus.

Noch messen wir wunderbare 26 Grad. Doch in fünf Stunden wird das Thermometer bereits wieder auf über 40 geklettert sein. Deshalb muss man die kühlen Morgenstunden ausnutzen. Und hockt sich auf den hohen Jeep, der durch kleine Teiche und dicken Sand fährt.

Das Auto schüttelt und rüttelt – so ist denn auch alle 15 Minuten «Busch-Halt». Das Gerüttel animiert die Blase nämlich ungemein. Dazu kommt Kittis strikter Befehl nach jeder halben Stunde: «TRINKEN, VIEL TRINKEN – SONST SEID IHR BALD DÖRRER ALS DIESE ÄSTE HIER!»

Wir sehen Schakale, die sich über einen Elefanten-Kadaver hermachen. Wir sehen einen jungen Leoparden, der sich ängstlich vor einer Herde kleiner Wildhunde auf einen Baum rettet. Aber der Baum ist zu schwach. Der Ast biegt sich nach unten – die «wild dogs» knurren, dass die Fetzen fliegen. Und plötzlich sagt der Guide: «Pssst – da ist die Mutter des Leoparden in der Nähe. Sie gibt ihm Befehle, wie er sich zu verhalten hat…»

Tatsächlich sitzt die Dame nur ein paar Meter weiter in einem stabileren Baum. Die Leoparden-Mama ordert ihren ­Jungen zu sich. Und gemeinsam bringen sie den Wildhunden dann das Fürchten bei, so dass diese Reissaus nehmen.

«Ist das nicht einfach wie ein Traum?» – Innocent hat wieder Tränen in den Augen.

Ich überlege mir, wie viele Leoparden es für einen Pelzfummel eigentlich braucht. Und ich weiss, dass solche Gedanken schändlich sind. Ich schäme mich dafür und gelobe mich zu bessern (nur noch Jute und Wolle).

Nachts verspricht uns Obi eine Nachtsafari. Und da sehe ich zum ersten Mal meine absoluten Favoriten: DIE SPRINGHARES! Also, das ist nun wirklich das Allerliebste das mir je unter die Augen gehüpft ist. Zuerst sieht alles wie ein Hase aus. Der Springhase hockt im Feld. Dann stellt er die Ohren. Und macht sich aus dem Staub – ABER WIE ER DA WEGSTAUBT! WIE EIN MINIATUR-KÄNGURU. Er federt auf seinem grossen Schwanz ab – dann hopst er auf den Hinterbeinen weg. Alles im australischen Känguru-Style. Nur ohne Beutel. ICH BIN ÜBERZEUGT, DASS DIE DURACELL-LEUTE MIT SO EINEM HOPSI-HASEN EIN RIESENGESCHÄFT AN LAND ZIEHEN KÖNNTEN. Aber natürlich sind auch die Springhasen wie alle Tiere in Botswana geschützt. Und das Urheberrecht der batteriegetriebenen Duracell-Springhasen-Idee auch. Das liegt bei mir. Also, bitte melden.

Dienstag, 29. November 2016