«AAAAFRIKA!», seufzte Innocent. Er seufzte den Kontinent mit drei A. Damit wollte er seine Sehnsucht verbal ausdrücken: «AAA-frika! Irgendwann will ich da mal hin!»
«Aha», sagte ich. Mit nur einem kurzen A. Denn meine Sehnsucht hielt sich punkto Afrika bis anhin in Grenzen.
Vor mehr als 40 Jahren prügelte mich meine Lieblingstante Hermine nach Kenia. Mombasa. Es gab ein einziges Hotel. Und eine Nachbarinsel ohne Strom: Malindi. In meiner angerosteten Badewanne räkelte sich eine Speikobra.
MUSS ICH MEHR SAGEN?!
Tante Hermine wollte in der Serengeti Tiere anschauen. Löwen. Elefanten und auch Tiger. Man versuchte ihr zu erklären, dass Tiger unmöglich seien, von wegen falschem Standort. Aber die Tante, die immer ihren Willen durchsetzen konnte, schaute den schwarzen Guide, der sich nach dem Papst Pius nannte, speikobragiftig an: «Mit ein bisschen gutem Willen geht auch ein Tiger, Mister Pius – also strengen Sie sich an!»
Zehn Tage lang sind wir auf einem holprigen Jeep durch die Steppen gejagt. Haben in Zelten übernachtet, die jeden Pfadfinder zum Heulen gebracht hätten. Und hörten nachts die Gnu-Herden vorbeigaloppieren. Die Tiere machten einen fürchterlichen Krach, da es zu jener Zeit in Kenia noch keine Lärmverordnung gab.
Anyhow. Ihre Hufe donnerten. Und man spürte die Erde beben. Am Tag pennten die Tiere irgendwo im Schatten. Jedenfalls haben wir sie nirgendwo gesehen. In unseren zehn Serengeti-Tagen haben wir einen einzigen, ziemlich angestauchten Schabraken-Schakal getroffen. Und der winkte nicht einmal … DESHALB: DAS WARS. Und: «Ich gucke mir die Tiere lieber im Zoo an!»
Innocent seufzt, so wie er immer seufzt, wenn er gegen die Blödheit seiner Umgebung mit Windmühlen kämpft: «Du Dummi – das ist ganz anders heute. Die Zelte sind bequemer. Die Jeeps auch. Und du wirst mir doch nicht wegen einer miesen Klapperschlange Afrika vermiesen…»
«Es war eine Speikobra! ICH HÄTTE TOT GESPUCKT SEIN KÖNNEN! Klapperschlangen sind in Mexiko…»
Na gut – ich rief meine allerbeste Freundin Kitti an. Kitti und ihre Schwester Pipi sind in Afrika daheim. Das heisst: in Botswana. Und dies sicher dreimal pro Jahr. Pipi und Kitti sind tiertechnisch durch – und zwar von A bis Z. ABER WIRKLICH DURCH UND DURCH DURCH. Man darf ruhig sagen: Von A-ffe bis Z-ebra ist ihnen nichts fremd. Sie kennen alles. Sie wissen alles. Die Wildführer können Pause machen – denn meine Freundinnen können Spuren lesen. Und wissen immer, was da im Busch hockt. Mit anderen Worten: Sie sind mit der Wildnis auf Du und Du. Ja, manch einer der wunderbaren Löwen hat sich vor ihnen tief verneigt. Und ein Leopard hat gar «Männchen» gemacht (sehr selten zu beobachten). Kitti ist skeptisch: «Er wird ja bald 90…» Gemeint ist jetzt nicht der Leopard. Sondern Innocent. Doch sein ablaufendes Frischedatum ist ja auch der Grund. Ich meine: Mit Innocents Jahrgang muss man den Wunsch nach Elefanten sofort erfüllen. Sonst ist er schneller weg als alle Nashörner dieser Welt.
«Es wird dort im Delta sehr heiss sein. Bis zu 40 Grad und drüber. Er muss immer trinken!» ALSO SAUFEN IST BEI IHM DAS ALLERLETZTE PROBLEM. ER IST MIT DER FLASCHE GEBOREN!
Innocent war schon wochenlang vor dem Afrika-Ausflug ausser sich vor Glück. Er übte auf einem alten Feldstecher, die Vögel zu beobachten (und machte unsere gute Hausputzerin Annick madig, weil er auf den Stubenfenstern überall riesige Flecken sah!). Er näherte sich dem Liebling unserer Nachbarin Frau Grünstein-Klotz, einem mickrigen Chihuahua, dem sie stets ein Wollmäntelchen überstülpt und ihn wie ein Petersilien- Bouquet in der Einkaufstasche trägt… Innocent also pirschte sich an den Chihuahua Grünstein-Klotz heran, als wäre dieser miese Kläffer der König der Tiere. Er fuhr vorsichtig sein Objektiv aus. Dieses ist dreimal grösser als das kleine Haarpaket der Nachbarin. Dann knipste mein Freund wild drauflos, sodass sich der Chihuahua geschmeichelt in Pose stürzte. Und glaubte, er sei Lassie.
«Es ist heiss. Und ihr braucht keine grosse Garderobe. Unterhosen zum Wechseln. Zwei, drei Leibchen. Sonnenhut. Zahnpasta. Fertig…» – das war die Vorgabe der Schwestern.
Gottlob haben wir das wunderbare Pyjama, das die gütige Flugbegleiterin für die lange Nacht verteilte, ins Handgepäck eingepackt. Wir hatten am Morgen noch die winterlichen Wollklamotten bei schweizerischem Null-Grad-Klima angeworfen. Die Dinge wollten wir den armen Eingeborenen zurücklassen. Doch in Johannesburg kamen die Koffer nicht an. Und so waren wir glücklich um das Pyjama. Im Okavango-Delta mass Pipi auf ihrem Reisethermometer nämlich 42 Grad. DA SIND CASHMERE-PULLOVER UND CORDJEANS NICHT DAS WAHRE!
Wir haben dem Pyjama die Ärmel und Hosenbeine abgesäbelt. Und hievten uns dergestalt auf den Safari-Jeep. WEN WUNDERTS, DASS DIE TIERE IN SCHAREN KAMEN! SO ETWAS HATTEN SIE NOCH NIE GESEHEN… (So betrachtet waren Tante Hermine und ich vor 40 Jahren für die tierische Wildnis ganz einfach nur falsch gekleidet! ABER DAS MÜSSEN SIE EINEM DOCH SAGEN.)
Innocent war selig in seiner botswanischen Traumwelt. Die Elefanten knickten ein vor Lachen, als sie uns in den kurzgeschnittenen Schrumpelhöschen sahen. Und selbst die Büffel lächelten milde.
Die schwarzen Menschen dort aber zeigten Herz: Sie sammelten für uns. Und trugen Kleider zusammen, von deren Farbenpracht die Herren Dolce und Gabbana nur träumen können. «IHR MÜSST TRINKEN», gab Pipi alle 15 Minuten den Schluckbefehl durch. Und natürlich zollt man so viel Flüssigkeit Tribut. Deshalb: Busch-Halt. Auch alle 15 Minuten. Der Guide hüpft dann laut applaudierend vom Karren. Gibt seltsam gutturale Geräusche von sich. Und erklärt stolz. «LUFT REIN. ALLES OK. IHR KÖNNT!» (Na gut – er sagt: «Go pissing!») Aber meine beste Freundin Kitti erzählt, dass sie in diesem Zustand schon Hyänen beobachtet habe. Und umgekehrt.
Im Abu-Camp wartet dann dieser wunderbare Roiboos-Tee, der einen überhaupt nicht nervig macht. Dazu Cookies. UND UNSER GEPÄCK!
Pipi strahlt: «Ja, was sagt ihr jetzt – funktioniert doch alles bestens.» Dann schaut sie uns streng an: «Aber ihr werdet weiterhin eure seltsamen Not-Fummel tragen. Es scheint den Tieren zu gefallen – so viele schaulustige Leoparden hatten wir noch nie!»
Somit haben wir das Okavango-Delta in seiner heissesten und dürrsten Zeit farblich etwas aufgemotzt – nur die Vogelwelt mit ihren «lilac breasted rollers» war bunter. Aber das sollten wir mit ein bisschen gutem Willen auch noch hinkriegen…