Er schob den Totenschädel dem Mann zu: «Bitte gut schütteln!»
Der triste Hohlraum war mit Symbolik gefüllt: ein Skelettstück vom Rückgrat eines Kaninchens, eine Kunststoffsau (rosa), ein Schokoladen-Smarty (rot), eine Gummispinne (schwarz) und Knöchlein. Ein ganzes Bouquet von Skelett-Resten.
Max wusste nicht, welcher Teufel ihn geritten hatte, diesen Hellseher aufzusuchen. Vermutlich lags am Seelentief. Lore hatte Max vor drei Stunden verlassen. Dies nach 28 Ehejahren.
Ihre Worte kamen wie ein Blitz aus heiterem Himmel: «Jetzt ist Schluss, Max – du solltest endlich zu dir selber finden. Fertig mit der Lügerei!»
Er war wie vom Donner gerührt gewesen.
Max hatte Lore nie belogen. Er war ein treuer Ehemann. Aber das hatte er nun davon – Ernst wars haargenau gleich ergangen.
Ernst und Lilli waren ein befreundetes Ehepaar. Max hatte Ernst verehrt – sein Freund sah (wenn man das als Mann mal so sagen durfte) verdammt gut aus.
Einmal pro Woche trafen sich die beiden im Fitnessclub. Danach gabs das obligate Bierlein.
Es war eine tiefe Freundschaft. Und die Gattinnen machten süffisante Witzlein: «Ihr seid ein schönes Paar!» Lilli hatte Ernst dann vor einem halben Jahr verlassen. Nun wurden es dreimal Fitness pro Woche. Dreimal Bierlein. Derweil telefonierten Lore und Lilli stundenlang.
Na ja – Weiber!
Der Wahrsager, Herr Florian, runzelte die Stirn. Und beschaute die Symbole, die Max auf das schwarze Tischtuch ausgeschüttet hatte.
Dann schüttelte Herr Florian den Kopf: «Zzzzz – Sie stehen vor einem Neuanfang. Hier. Der kleine Knochen liegt verkehrt da. Und die Sau steht quer…»
«Ah ja?»
Herr Florian seufzte: «Das bedeutet, dass das Glück bereit ist. Aber ergriffen werden muss. Sehen Sie die Gummispinne hier?»
Max sah sie.
«Das Glück tritt ihnen schwarz über den Weg. SCHWARZ. Merken Sie sich das. Der rote Schokoladen-Smarty gibt einen weiteren Hinweis: Es muss auch loderndes Feuer dabei sein…»
«Aha.»
Herr Florian tippte nun auf das Wirbelsäulenstücklein des Hasen. «…und das hier ist weit weggespritzt. Ihnen fehlt es an Rückgrat, guter Mann. Zeigen Sie endlich Mut! – macht 20 Franken!»
«Ich bin ein Arschloch!», dachte Max. Und blätterte das Geld hin.
Draussen vernebelten Grauschleier den November-Tag.
Inmitten des Trüben entdeckte Max dann die Flamme. Sie kam von einem Feuerzeug. Und das Feuerzeug gehörte Ernst – der Freund versuchte vergeblich, seine Zigarre anzuzünden.
«ERNST!» – Max lief auf ihn zu.
Ernst schaute auf: «Ich hätte mir fast den Schnauzer angesengt… dieses Feuerzeug spinnt! Man sollte eine Zigarre eh nicht mit dem Feuerzeug anzünden, aber…»
DA KAPIERTE ES MAX: SEIN FREUND STECKTE IN EINEM RABENSCHWARZEN ANZUG!
«Ich muss zum Martinsgans-Essen mit der Zunft», grinste Ernst. «Deshalb der schicke Clown!»
Max wusste: Das lodernde Feuer… dazu all das Schwarz – es war ein Zeichen. Er musste die Sau packen.
Aufgewühlt dachte er an das weggespickte Rückgrat des Hasen: «ERNST – ICH LIEBE DICH!»
Zu Hause meinte Herr Florian zu seiner Freundin Annekäthi: «Also dieser 20-Franken-Job als Wahrsager ist Stress pur– nichts als alte Weiber oder dann Tunten, die ihrem Coming-out hinterherrennen… als Staubsaugervertreter war es einfacher…»
PS: Ernst ist übrigens nicht beim Martinsgans-Essen erschienen.