Escort-Boy

Er empfing die Kundinnen immer im dunkel­blauen Anzug. Dazu Krawatte. Meistens Hermès.

Vor jedem neuen Treffen war er aufgeheizt, wie ein pubertierender Schüler. Auch jetzt. Er spülte sich den Mund mit Listerine. Sprayte sich mit der schwarzen Duftnote von Parma ein. Und fackelte die Kerzen an.

In zehn Minuten sollte Kätzchen 69 hier sein.

Wie alle seine Kundinnen kam auch Kätzchen 69 durch ein Sex-Portal zu ihm. Das Anonyme im Internet machte die Sache noch heisser. Und ­Anonymität war wichtig.

Ralf war verheiratet. Man konnte sagen: GLÜCKLICH VERHEIRATET.

Liz war eine schöne Frau. Vielleicht etwas kühl. Aber bei einer Meeresbiologin herrschte wohl eben immer leicht Untertemperatur.

Ralf arbeitete als Programmierer für eine ­Computer-Firma.

Den Escort machte er nebenher: «LATIN LOVER ERFÜLLT DEINE GEHEIMEN WÜNSCHE.» So pries er sich feurig in einem ­einschlägigen Internet-Portal der Damenwelt an.

Seine sizilianische Grossmutter aus Palermo rechtfertigte die südländische Propaganda «Latino». Sein Vater war allerdings aus Sursee. Dachdecker. Er hatte keinen Schimmer, dass sein Sohn ebenfalls deckte (wenn auch keine Dächer).

Es ist nicht so, dass Ralf beim Sex mit Liz zu kurz gekommen wäre. Aber nach zehn Jahren war alles ein bisschen ausgelutscht. Nun ja, wie ein Stück Süssholz, an dem man zu lange gekaut hatte.

Die Freundinnen von Liz hatten ihn stets ­angemacht. Aber sie waren tabu. Er wusste, was er seiner Frau schuldig war – da steckte noch immer ganz Sizilien in ihm: absolute Treue.

Die Klientinnen zählten nicht als Ehebruch.

ES WAR EINE REINE BUSINESS-ANGELEGENHEIT.

Er betrachtete die (zumeist älteren Frauen) wie Computer-Aufgaben: er gab sein bestes ­Programm. Hatte Spass dabei. Und ein Bankkonto, von dem Liz nichts wusste.

Ralf hatte sich in einem andern Stadtteil eine Zweizimmerwohnung gemietet. Die Kundinnen empfing er nach Feierabend.

Da Liz in ein Forschungsprogramm über ­Chlorophyll bei griechischen Seegräsern ­involviert war, war sie dankbar, wenn er sie nicht störte. Sie hockte meistens bis kurz vor ­Mitternacht über ihren Mikroskopen.

Wenn er dann etwas ausgelaugt nach Hause kam, ­bereitete er ihr ein kleines Omelett zu – mit einer Kräuter-­Quarkfüllung (auf die er sehr stolz war).

Sie sassen am Küchentisch. Genehmigten sich noch einen Schlummerschluck. Und waren ­glücklich. Zumindest: zufrieden.

Es klingelte.

«Dritter Stock», meldete sich Ralf durch die Gegensprechanlage. Und: «Es hat einen Lift.»

Ein Lift war beim Alter seiner Kundinnen ein «Must».

(Sein erstes Escort-Nest hatte im fünften Stock eines Altbaus gelegen. Dem Glücksmoment war stets ein mühseliges Holztreppensteigen ­vorangegangen. Einige der Kundinnen musste er als erstes eine Coramine-Tablette lutschen lassen.)

Er hörte das «Dlaggdlagg» von High Heels.

Dieser Moment, bei dem alles noch in der Schwebe war, wo er nicht wusste, ist sie alt oder sehr alt, jung und dick, blond oder gefärbt…, dieser Augenblick der Fragezeichen erregte ihn immer wieder neu.

Die Frau trug einen Hut mit dunklem Schleier.

«Ich bin Kätzchen 69», flüsterte sie.

Dann lüpfte sie das Tuch: «Hallo Ralf –schön dich zu treffen. Ich dachte, vielleicht ist er hier besser als daheim…»

Ralf wankte, als Liz ins Studio trat: «Ach so – und wenn wir schon dabei sind: Könntest du deine Omelettes nicht mal mit etwas Neuem füllen…?»

Montag, 14. November 2016