Von Liesels Schnitten und zu viel Zucker in Salzburg

Illustration: Rebekka Heeb

«I MOCH MAINEN BUABERLN SISSI-SCHNITTERLN!»

Mein Gott. Es bleibt uns nichts erspart. Zuerst die Bartoli als Maria in «West Side ­Story». Und jetzt dieser Zuckerschlamm mit den Heidelbeeren drin. BEIDES UNERTRÄGLICH SÜSS. UND BEIDES IRGENDWIE FALSCH GEBACKEN.

Das mit den Sissi-Schnitterln kam so: Liesel hat zwar immer ihr Holz auf dem Feuer. Damit will das Luder die «MANNSBILDERN» so weit erhitzen, dass denen die Milch überläuft.

Im Geriatrie-Verein kommt so etwas vielleicht noch an. Und bei den Dementis in der Spielgruppe auch. Die wollen mit Liesels Holz einfach kegeln. Fertig. ABER KOCHEN KANN DIESES MANNS­TOLLE NOGGERLWEIB NULLUM. NADA. NIENTE.

ABER G A R NICHT – sage ich euch! Für ein Dreiminutenei braucht sie sechs Stunden. Und Erbsen serviert sie in der Schale weichgekocht.

Nun hat Innocent, dieser Zuckerschleimer, letztes Mal doch tatsächlich wieder das Blaue vom Himmel runtergesülzt: «Ach Lieselchen, deine Brezel ist so herrlich frisch. Und die Aprikosenknödel sind zart wie, ach du weisst schon … Wie schaffst du das nur immer?»

JA WIE WOHL? Quick-Dose von Aldi. Und den Alten jagt sie schon vor der Rasur zum Bäcker!

Angetörnt von Innocents falschem Schmäh, liess sich unsere Salzburger Freundin also zu Sissi-Schnitterln hinreissen. Das Rezept hatte sie – wie die ganze Lebensweisheit – aus der Kronenzeitung. Sie verrührte das Weisse von zwei Eiern mit gut drei Pfund Zucker. Dann warf sie tiefgekühlte Blaubeeren hinein, und als die ganze Schwemme aus dem Ofen tropfte, war «Sissi» fertig.

«OHHH LIESELCHEN – NIE HABE ICH SO WAS SÜSSES GEGESSEN», keuchte sich Innocent durch das Geglibber.

«Schmöckts maim Buaberl?», strahlte die Hobby-Bäckerin.

Das Buaberl leidet noch heute an den Kariesschüben jenes Schnittenwerks, war aber zu feige, um folgenden gesalzenen Klartext zu reden: «DIESEN SCHEISS FRESSE ICH NICHT!» Nein. Er schaufelte sich die Sissi rein. Und hatte abends Diabeteswerte, nach denen er eigentlich schon längst die Harfe hätte spielen sollen.

SO ANGETAN VOM LOB, HOLT LIESEL NUN JEDES MAL BEI UNSERM SALZBURGER TREFFEN DIE SISSI ALS SCHNITTE AUS DEM OFEN.

Ich bin der Einzige, der eiskalt abwinkt: «Danke – wir haben zu Hause eben die Fenster frisch dichten lassen.» Der Herr Graf ist ja Liesels Frass gewohnt. Und grast jenseits des heimischen Herds.

Innocent aber kann nicht mehr zurück – jedes Mal pumpt er sich nach den Sissi-Schnitten mit Insulin voll. Und unsereins hat dann wieder das Jammerpaket im Nebenbett: «Besorg mir einen drei­fachen Marillenbrand, und wenn es mir etwas gibt, soll der kleine Dominik meinen guten Anzug kriegen.»

Der kleine Dominik ist mittlerweile 58. Und der Anzug noch zehn Jahre älter. Immerhin – so süss lebt der Geniesser Innocent nur ganz selten. Und der Marillenbrand hilft ihm auch jedes Mal wieder auf die Latschen.

Nun zu Frau Bartoli: Ich liebe ihre Stimme. Ich liebe ihr Temperament. Und ich weiss, dass ihre brave Frau Mutter die Operndiva-Karriere aufgab, um sich für ihre römische Familie an den Herd zu stellen. Die Mamma hat zugunsten von Cecilias Laufbahn nur noch im Römer Opernchor gesungen. Und wer den schon einmal über sich ergehen ­lassen musste, weiss, dass dies wirklich ein Opfer war.

FÜHREN WIR DEN TAKTSTOCK ZUM ANFANG – UND HIER WOLLTE CECILIA MARIA SINGEN!

Weil da aber eben zu den legendären zweieinhalb Oktaven Mezzosopran mit den Jahren auch einige Pfund Makkaroni hinzugekommen sind, war guter Rat teuer.

Da hatte sich der Regisseur etwas einfallen ­lassen: Die kleine Maria, deren Tony im letzten Akt mausetot geschossen wird, führt 30 Jahre nach dem Drama ein Nähatelier für Brautkleider. Die junge Maria wird von einer Schauspielerin gespielt. Die «alte» Maria (die mit den Makkaroni) macht das Musical nur als reflektierender Schatten mit. Die gespenstische Gestalt wird immer nur dann zur Wirklichkeit erweckt, wenns um die wahren Töne und den Applaus geht.

Eine nette Idee.

UND NATÜRLICH WAR INNOCENT TOTAL HIN UND WEG.

Er applaudierte so frenetisch, dass seine Prachtmähne wild hin und her wehte. Dabei versprühte das Haar Tonnen von diesen weissen Schuppen, mit denen Göttin Natur die ganzen Fischbestände des Atlantiks hätte versorgen können. Liesel holte uns rührenderweise ab.

Seit die Familie mit dem Grafenwappen nur noch von der Rente lebt, musste der Wagenpark abgebaut werden. Also klemmt sich unser üppiger Wonneproppen hinter einen Fiat 500. Und kommt vor lauter Holz vorm Haus kaum ans Steuer davor …

«Na Buaberln – wor die Cecilia net der Wohnsinn?»

«JA LIESELCHEN – ABSOLUT GROSS­ARTIG» – dreimal dürft ihr raten, wer da wieder den Zucker versprüht hat. «Mir war sie für ein Musical zu wenig blechig», schmierte ich den Senf zur Wurst.

«Holt dai Goschen», fauchte die eingeklemmte Herzdame hinter dem Steuer, «wos verstehts denn schon so ne Landpomeranzen vom Gsang!»

«Ich war der zweite Knabe in der ‹Zauberflöte›», gab ich giftig den musikalischen Tarif durch.

Liesel schaute triumphierend in den Rück­spiegel: «No eben – nur zwaater. Wenns was taugt hetsch, wärst erster Knab gwesen!»

Zu Hause warteten die Sissi-Schnitten.

Und drei Spritzen Insulin.

Dienstag, 25. Oktober 2016