Er schaute «Tatort».
Ernst mochte diesen schmuddeligen Kommissar und seinen geschniegelten Leichen-Professor. Letzterer war stets so erfrischend unkorrekt frech zur Zwergenfrau. Und die blieb ihm dann auch nichts schuldig.
Ernst liebte also diese Krimireihe (auch wenn er die Auflösung der Morde mitunter verpennte).
VOR ALLEM ABER LIEBTE ER DIE VERWUSCHELTE STAATSANWÄLTIN MIT DER DUNKLEN BASS-STIMME. Und er liebte ihren tödlichen Raucherhusten.
ERNST RAUCHTE AUCH.
Die Stimmbänder waren bereits belegt. Und «das wird ein böses Ende nehmen, Herr Müller!» – so hatte sein Leibarzt geunkt.
Ernst war jetzt 82. Das Ende durfte ruhig kommen. Wenn er sich «Tatort» und die vielen Leichen anschaute, musste er sich manchmal wundern, dass er überhaupt noch lebte.
Ernst holte sich ein Bierchen. Er lebte alleine.
Seit «Mutti» durch Tod weg war, warf er die Waschmaschine selber an.
Mutti hatte übrigens auch geraucht. Wenn auch nur ein Päckchen am Tag.
Ernst war stets ein Einzelgänger gewesen. Mama hatte gekocht. Hatte das Haus picobello sauber geführt. Hatte ihm die Hemdenkrägen gestärkt – JA, WAS WOLLTE HERR MÜLLER NOCH MEHR?
Hin und wieder brachte er eine Frau heim. Meistens eine von der Damenriege. Denn Ernst Müller war ein begnadeter Reckturner.
Mutti schleppte dann Goldrandtässchen und Linzertorte an. Sie erzählte pausenlos, was Ernst für ein wunderbarer Sohn sei.
DIE FRAUEN KAMEN NIE WIEDER.
Und Herr Müller baute seine Gelüste am Reck ab.
Als Mutti starb, hatte Ernst eben seinen 70. hinter sich. Beide Müllers stiessen mit Sekt auf den Geburtstag an.
Der Glockenwirt persönlich flambierte das Rind. Die Flammen züngelten. Und «Ohhh», seufzte Mutti entzückt.
Als alles erloschen war, züngelte auch bei Mutti nichts mehr.
FLAMME AUS!
«Sie hatte ein schönes Alter», meinte Ernst geniert durch die grossen Umstände, die er dem Wirt in dessen Gaststube bereitete. Der wiederum trug die Leiche samt Stuhl ins Kaltzimmer. Und rief durch die Türe: «Fürs Chateaubriand berechne ich nur eine Portion…»
Es kamen keine Trauernden. Ernst stand alleine vor der Gruft, in die Mutti schon seinen Vater runtergelassen hatte.
Keine fünf Jahre alt war der Bub gewesen. Sein Vater hatte Waldchampignons nach Hause gebracht.
Mutti kochte für ihn ein Ragout daraus. Und schnetzelte auch ein paar von den rotweiss Getupften darunter. Dazu hausgemachte Nudeln.
In der Nacht gab Muttis Gatte patschnass den Löffel ab.
Der Arzt war misstrauisch. Er rief die Obrigkeit. Und Herr Abächerli, der Dorfpolizist, schaute die junge Witwe streng an: «… und Sie haben wirklich nichts von seiner Glutenallergie gewusst?»
Als die Polizei weg war, strahlte sie: «JETZT HABEN WIR EINANDER GANZ ALLEINE – ERNSTILEIN!»
Sie hatten einander dann sehr, sehr lange alleine. So lange, dass es Ernst zu lang wurde.
Am 70.Geburtstag hatte er das Fläschlein mit den starken Herztropfen in die «Glocke» mitgenommen. Und eine Überdosis in Muttis Sektglas geschüttet.
EIN PAAR JÄHRCHEN WOLLTE ER DOCH NOCH ALLEINE GENIESSEN – ALLEINE MIT SEINEN ZIGARREN.
Ernst schaute jetzt auf den Bildschirm. Der Mörder wurde gefasst, als er daheim sein Eheweib zerstückeln wollte.
«Stümper!», hustete Ernst.
Und stellte den «Tatort» ab.