Von Kommunisten und den Frikadellen der Omi

Illustration: Rebekka Heeb

Mein Grossvater war Kommunist. Zumindest, wenn man meinem Vater Glauben schenken wollte. Überprüfen konnte ich das nie.

Das Einzige, das mir von meinem Grossvater blieb, waren zwei Fotos: Eines zeigte ihn mit jenem Säbel in Militär­uniform hoch zu Ross. Das andere im weissen Leichenhemd eingebettet im Sarg. ES WAREN BEIDES KEINE FOTOS, DIE EIN ZARTBESAITETES KIND ZUM JAUCHZEN BRINGEN.

Grossvater, den die französische Familienseite «Jules» und die andere «Julius» nannte, arbeitete in der Stadtgärtnerei auf dem Friedhof. Vielleicht hatte er deshalb so viele Blumen ums Totenbett. Sicher ist, dass er soff wie ein Loch. Das hat mir die Kembserweg-Omi, wenn sie auf den Knien am Boden rumrutschte (und nicht etwa, um zu curlen) und den Putzlappen im Eimer auswrang, als hätte sie den Hals ihres Alten in den Fingern – also das mit dem Saufen hat mir die Omi immer wieder vorgeputzt: «Er hockte in der Beiz. Vertrank seinen Lohn. Und hielt politische Reden über die ungerecht verteilten Privilegien in diesem Land, während ich auch nachts in der ‹Chemischen› putzen ging und ihm vorher noch die Frikadellen briet.»

«Die Chemische» war «die chemische Fabrik». Man redete damals nie von Ciba. Oder Sandoz. Sondern: «Er hat eine gute Stelle in der ‹Chemischen›.»

«War der Opa ein Kommunist?», habe ich die Omi gefragt. Als junger Mann wollte man sich schliesslich ein Bild machen. «Das weiss ich verdammt nochmals nicht – ich hatte keine Zeit für Politik. Ich hatte zu arbeiten», nervte sich die Omi. Dann knurrte sie etwas versöhnlicher: «Frag nicht solches Larifarizeug. Dein Grossvater hat den Lohn versoffen und der Welt nach dem dritten Bier erklärt, wie sie besser zu regieren sei. Mittlerweile wurden mein Rücken krumm und die Frikadellen kalt. Das ist alles.»

Sie schliefen getrennt.

«War der Julius ein Kommunist?», habe ich auch meinen Vater gefragt. Er sagte das, was die Leute immer sagen, wenn sie über Dritte nicht so ganz Bescheid wissen: «So kann man das nicht sehen – er war ein guter Mensch. Er hat mir auf den 16. Geburtstag ein Rennvelo gekauft.» MEIN GOTT. TYPISCH POLITISCHES DENKEN: MACH GESCHENKE. UND DU HAST DIE STIMME AUF SICHER! Bei der Erinnerung ans Rennvelo hatte Vater Tränen in den Augen. Und schneuzte sich in die Serviette.

«Er WAR ein Kommunist», gab die Omama, der Drache von Mutters Seite, den Senf zur Wurst. Dann lächelte sie versonnen: «Aber er war ein Kommunist mit feudalem Stil. Immer zu meinem Geburtstag hat er mir Chrysanthemen vorbei­gebracht. Er hatte sie von einer Abdankungs-­Dekoration in der Friedhofskapelle abgezwackt. Aber er sagte zu mir: ‹Lydia, schade, dass Sie im späten Herbst und nicht im blühenden Sommer Geburtstag feiern – Frauen wie Sie sollte man mit Rosenblättern überregnen.›»

Auch die Omama tränte: «Er war so sensibel und hatte es gewiss nicht leicht: immer um die stillen Toten herum. Und zu Hause dann dieses laut putzende Weib mit dem ewigen Frikadellen-­Programm. Wen wunderts, dass er beim Bier die Stille suchte.» Dann lächelte sie versonnen vor sich hin: «Natürlich hätte er die Rosen aus einer seiner Grabanlagen gerupft. Aber die Idee ist doch nett, musst du zugeben.»

Für die Schwiegermutter seines Sohns: Rosen – zu Hause: getrennte Betten. Irgendwie brachte die Politik schon damals Fragezeichen. Fragezeichen. Fragezeichen.

Beim Mittagessen, wenn der letzte Halb-­ein-Uhr-Mittagsnachrichten-Piepser mit einem erhöhten Ton das Miese dieser Welt ausschüttete, war Redeverbot. Doch wenn der Sprecher fertig war und das Programm mit einem Hüdigääggeler-­Potpourri weiterging, drehte Vater den Knopf. Und eröffnete das Streitgespräch zur Lage der Nation.

Mutter war rechts. Vater war links. Das Kind war gelangweilt.

Es hätte gerne Tanzmusik gehört. Oder den Schlager «Ein Schiff wird kommen». DOCH NICHTS MIT LUSTIG! Sie keiften einander an. Stritten um Löhne. Und Begriffe wie «Rechtswixer» und «linke Lumpen» flogen wie Pingpongbälle von links nach rechts. Und zurück. WEN WUNDERTS, DASS DAS KIND DER STREIT-KULTUR, WIE SIE HEUTE VON POLITISCH DENKENDEN MENSCHEN PROPAGIERT WIRD, NICHTS ABRINGEN KONNTE. (Auch heute noch nicht. Ich bin für die Harmonisierung der Hormone.)

Die kommunistischen Ausläufer von Julius zeigten sich nun beim Sohn am Tramkittel-Revers. Dort funkelte am 1. Mai ein rotes Kunstseidenfähnchen. Die übrigen Tage funkelte roter Lippenstift.

Vater wurde links-aussen bei der SP. Und als er sich als Gewerkschafter der Tramlinie -6- für den Grossen Rat aufstellte, drückte er dem Buben einen Stapel Propaganda-Blätter in die Hände: «Die verteilst du nun im Quartier in die Brief­kästen.»

«Ich mache mir meine polierten Nägel kaputt», protestierte ich.

Und meine Mutter drückte einen zweiten Stapel auf die SP-Liste drauf. Es war Liste -3-. Und sie lächelte. «Wenn du schon dabei bist… ich lasse dich dann auch an meinen Nagellack.»

Vater merkte, dass er für seinen politischen Sieg auch noch einen draufsetzen musste: «O.k. Ich spendiere dir vier Sonntage eine rosa Marzi­pankartoffel von Bäcker Schneiderhahn.» DAMALS HATTEN DIE BÄCKEREIEN AM SONNTAG OFFEN!

Ich liess mich bestechen. Warf die Propaganda-­Zettel bei der nächsten Parkanlage in den Abfallkorb. «Du hast doch eine Politphobie. Fang endlich zu denken an», stöhnten meine Redaktionskollegen später, wenn ich mich weigerte, auch nur EINE politische Zeile zu schreiben.

Es ist nicht so, dass ich nicht politisch denke. Aber ich mag das sture Parteien-Wählen nicht. «Links wählt links.» Und «rechts wählt rechts». Alles andere wäre Verrat.

Weshalb kann man da nicht einmal die Grenzen aufreissen. Und weniger die Partei als vielmehr die Vernunft (ver)walten lassen.

O.K. VERSTEHE NICHTS DAVON.

UND GEH ZURÜCK ZU MEINEN ­FRIKADELLEN!

Dienstag, 4. Oktober 2016