Frikadellen

Ilse griff zum Flaumer. Und rüttelte am Holzstiel.

Ein weisser Staubregen tanzte durch den sonnigen Tag.

Und «AUFHÖREN!», tobte es genervt von einem der unteren Balkone. «Ihr verdammter Dreck ­regnet auf meine Leintücher!»

Natürlich. Es war die Gygax vom Dritten. Diese dumme Kuh musste sich ja immer und überall reinhängen.

«Der Balkon ist keine Wäschewiese!», schrie Ilse giftig zurück. «Wenn sie zu faul sind, ihre Sachen im Waschhaus aufzuhängen, ist das Ihr Bier...»

Es entspann sich nun ein Wettbewerb an ­unflätigen Wörtern. Der untere Stock blieb dem oberen nichts schuldig. Und Ilse rüttelte derart genervt am Flaumerstiel, dass sich der Wollhaarteil loslöste. Und auf die fleissigen Lieschen krachte. Es waren die «fleissigen Lieschen» der Gygax: «DIE HABE ICH SELBER GEZÜCHTET – SIE DUMME SAU!»

Die Stimme vom unteren Balkon überschlug sich.

«Mässigen Sie sich» – brüllte es von oben «ansonsten zeige ich sie wegen Personenbeleidigung an. Mein Sohn ist Richter...»

«Ach ja – was richtet diese rosige Tunte denn an?!»

Gekreische. Gekreische. Und : «HUUGOOO! HUUU- GOOO – SIE HAT HORST-MARIA EINE TUNTE GENANNT! UND MICH EINE DUMME SAU.»

Hugo war die Sau so was von Wurst. Schon bei den ersten schrillen Tönen hatte er sich aus dem Haus geschlichen – dies in Richtung «Brauner Bär». Dort war es wunderbar still.

Der kroatische Kellner sass vor einer ­Fussballzeitung. Der tamilische Buffetbursche polierte stumm die Gläser auf Glanz. Nur dann und wann vernahm man ein gemütliches Zischen aus dem Zapfhahn. Oder den herzlichen Rülpser eines Rentners, in dessen Innenleben sich die dritte Frikadelle meldete.

Hugo angelte sich eine dieser Frikadellen. Sie hiessen jetzt «Burger». Die Jahre hatten die gemütlichen Kugeln flach gedrückt. Sie waren zu europäisch unisono geformten Fladen ­verkommen. Mit genormtem Inhalt. Von ebenso genormten Rindern.

Hugo spie den Burgerbissen in die Papier-­Serviette: «Hats Bierbretzel?» Er holte den ­Kellner aus der kroatischen Fussball-Liga.

«Nein Herr», sagte dieser. Und las weiter.

Hugo atmete tief durch.

WO WAREN DIE BIERBRETZEL VON EINST?

WO WAREN DIE DICKEN, UNFÖRMIGEN ­FRIKADELLEN? WO WAR ALL DAS SCHÖNE ­SEINER ­JUGENDZEIT?

«Es ist nicht mehr wie früher...», seufzte er zu ­seinem Tischnachbarn.

Der kämpfte sich mit seinem Handy ab. Immer wieder hielt er den kleinen Apparat an sein ­haariges Ohr. Und schüttelte dann unwillig den Kopf: «Einfach nichts... kein Ton... verstehen S i e etwas von diesem Mist?»

Hugo nahm das schwarze Ding. Drückte ein paar Tasten. Und gab das Handy dem Alten zurück: «Also der Summton funktioniert...»

Der Mann legte den Apparat an seine pelzigen Löffel. Zuerst links. Dann rechts.

Schliesslich hob er seufzend die Schultern: «Ich höre ohne Hörapparat eh nichts...»

«Sie Glücklicher!», seufzte Hugo.

«Was haben Sie gesagt?» – brüllte der Alte so laut, dass selbst der Buffetbursche mit dem ­Glaspolieren innehielt.

«ICH HABE GESAGT, ES IST SEHR OFT BESSER, NICHTS HÖREN ZU MÜSSEN...»

Der haarige Ohrenmann schaute stumm auf sein Telefon. Dann zu Hugo. Und auf dessen ­angebissenen Burger: «... die Frikadellen sind auch nicht mehr wie früher! Fräulein ­zahlen!»

Der kroatische Kellner erhob sich seufzend. Seine Mannschaft hatte 0:8 verloren.

Montag, 5. September 2016