«Ich kann es nicht mehr hören!» Meine Freundin Esmeralda verdreht die Augen. Und ich drehe mit. Denn beide drehen wir bald einmal durch. Dieser Abend kennt nur EIN Thema: WEIN, WEIN, WEIN.
Zum Weinen!
Dabei: gibts wunderbare Pasta Norma mit Tomaten und Auberginen vom eigenen Garten. Handgepflückt. Nur die Zwiebeln sind zugekauft. Hugo und Innocent schleudern das Göttergericht rein, als wäre es Popcorn. WER PFEIFT SCHON DANACH, DASS ICH FÜR DEN SUGO EINE RÜHRENDE STUNDE AN DER GASBOMBE GESTANDEN HABE.
Innocent schleppte drei Flaschen zum Tisch. Zapfte ab. Und verteilte eine Batterie an Gläsern: «Also jetzt wollen wir doch mal testen… der Primitivo aus der Gegend von Lecce ist ganz speziell… die Flasche aus dem Piemont ist ein DOC … und dann haben wir noch diesen Morellino aus Scansano und dem Jahre 2011…»
Primitivo? DOC? 2011? Für mich Rebenlatein. Und spanisches Dorf. Ich kapiere Bahnhof. Und nuckle an meinem Eisenkrauttee. Der Tee wuchert ebenfalls in meinem Garten. Er schmeckt wunderbar. Blumig. Mit Honigbouquet. Und einem Hauch von Zimt. Aber Esther und ich sind die einzigen, die so ein köstliches Getränk (mit Zitronenscheiben frisch ab Baum) zu schätzen wissen. Hugo und Innocent wedeln unsere Becher genervt weg: «Wir sind ja nicht krank!»
Die Gläser werden gefüllt. Schon gehts los. Die beiden überbieten sich an blumigen Floskeln wie: «…man schmeckt Zedernholz und etwas Teer …» Sie schnalzen und schlückeln, gurgeln und schmatzen. Dabei schliessen sie die Augen, wackeln mit den Köpfen wie der Güggel vor der Besteigung. «…und soooo rund, zuerst fruchtig, dann gross im Finale und…»
WEINLATEIN.
Dabei taucht vor uns feurig die Sonne ins Meer. «Schaut dieses Abendrot… und diese Erdbeerwolken…», ruft Esmeralda verzückt.
«…auch ein bisschen Himbeere im Anlauf», doziert Innocent. Er lässt die Sonne kommentarlos untergehen.
«Es hat Pflaumenkuchen zum Dessert», unterbreche ich das Barolo-Blabla gereizt. Und versuche das weinselige Thema in eine andere Richtung zu lenken. Aber leichter stemme ich einen Elefanten, denn: «Der Primitivo muss noch etwas atmen.» Am Schluss des Essens verstellen Dutzende von Flaschen die Aussicht. Aber die Sonne ist eh schon unten. Und das Meer nun so schwarz wie unsere Rachegedanken.
Am andern Tag besuchen Esmeralda und ich den Hafen. Es gibt dort tätowierte Matrosen. Und fröhliche Fischer, die ihre Garnelen und Vongole anbieten. In der Via Roma, der kleinen Hauptgasse, warten ein Dutzend Geschäfte. Die Wirtschaftslage ist nicht rosig: Heute schliesst der Bäcker. Morgen öffnet ein neues Parfumgeschäft. Die Läden wechseln schneller als die Leibwäsche der alten Cartucci.
Eigentlich wollten wir bei Orlando Pecorino mit Pfefferkörnern kaufen. Aber auch Orlando hat seinen «Alimentari» geschlossen. Seit neben dem Friedhof ein riesiger Supermercato mit Kinderspielplatz und Parkanlage die Leute anlockt, ist seine Ladenkasse verstummt. «VINI» lesen wir jetzt. Vor der Türe steht ein kleines, listiges Bäuerchen. Seine Bäckchen glühen. Das Männlein führt uns zu fünf Fässern: «Alles meine eigenen Weine, Herrschaften – wollen Sie mal kosten?»
Es muss an meinem Bauch liegen. Die Menschen glauben stets: «BAUCH = WEIN!» Tatsächlich werde ich an Weihnachtsfeiern, Lesungen oder zum Muttertag immer wieder mit Flaschen beschenkt: «Sie sehen doch ganz nach einem guten Tropfen aus!»
SO EIN QUARK!
Doch der Alte spielte seinen Trumpf aus: «Der Liter kostet nur 1 Euro!»
E I N E N EURO?!
Dafür bekommst du in Italien nicht einmal eine Rasierklinge. Esmeralda knallte mir ihren spitzen Ellbogen in die Weichteile: «Denkst du, was ich denke?» Doch bevor ich etwas dachte, liess sie sich auch schon von jedem Fass eine leere Plastikflasche abfüllen. Sie grinste: «Das wird ein schöner Abend.»
Zu Hause logen wir das Blaue vom Himmel herunter – oder eben das Rote in den Wein. Unserm Nachbarn Augusto hatten wir fünf leere Weinflaschen abgeschnorrt. Augusto hat bereits drei Sommelier-Kurse hinter sich. Und führt die kostbarsten Etiketten in seinem Weinkeller.
In eben diese leeren Luxusflaschen füllten wir den billigen Fusel ab. Und servierten ihn abends zum Sonnenuntergang: «ÜBERRASCHUNG, ÜBERRASCHUNG!»
Wir erzählten den beiden Männern, wie wir diese edlen Tropfen Augusto hätten abkaufen können: «Er ist wieder mal in Geldnot, da haben wir den Preis gedrückt und…» – unsere Geschichte hatte Bouquet. Und einen heissen Abgang!
Innocent wurde erst rot. Dann bleich: «MEIN GOTT – EIN SASSISCAIA 1999! UND ZWEI TIGNANELLO … WAS HABT IHR DAFÜR HINGELEGT?» Ich zuckte die Schultern: «100 Euro für alle fünf Flaschen, es sind Raritäten – ein Schnäppchen!» Der Jubel kannte keine Grenzen. Wieder wurde eine Batterie Gläser aufgestellt. Wieder Geschlückel, Gegurgel, Geschnalze: «Göttlich – das ist eben doch etwas ganz anderes. Und diese Rundungen, dieser Hauch von Waldbeeren…»
Innocent zückte den Geldbeutel: «Geht morgen nochmals hin. Vielleicht hat er noch mehr. Man muss dem Armen unter die Arme greifen. Und da er doch in der Misere steckt …» DIES WAR DAS WEINLATEIN, DAS WIR VERSTANDEN! Fünf Tage lang kassierten wir ab. Leider lief dann Augusto den beiden über den Weg. Er nannte sie zwei blauäugige Deppen.
ICH WOLLTE HIER NICHT SCHLECHT ÜBER WEINKENNER REDEN. NUR SAGEN: MIT EISENKRAUTTEE BIST DU IMMER AUF DER SICHEREN SEITE.