Von Aprikosenkonfitüre und «nur etwas Einfachem»

Illustration: Rebekka Heeb

«Zu Hause ist es doch ­netter…» – O-Ton von Herrn Innocent. Ja klar. UND ­WELCHE ARME SAU HAT DIE GANZE ARBEIT AM FETTEN HALS!? Ihr ahnt es.

Es ging um das Geburtstagsfest. UNSER GEBURTSTAGSFEST! Wir sind nämlich nur sieben Tage auseinander geboren – Jahre sind es allerdings gefühlte 100.

Also: Wir feiern immer gemeinsam. Oder anders – der eine feiert. Der andere malocht. Dreimal dürft ihr raten, wer was wie… Eigentlich hätte ich das Fest gerne in dem schönsten Inselhotel gehabt. Es hat fünf Sterne. Dazu noch ein goldenes L nach dem Sternenbouquet. In Zürich steht so ein L für «läck Bobby!». Und alles jagt zum L-uxus hin. In Basler Kreisen rümpft man die Nase: «L bedeutet L-ow Class. Für so einen Wichserschuppen Geld rauszuwerfen, bedeutet schlechten Geschmack!»

ICH LIEBE DEN SCHLECHTEN GESCHMACK.

Doch Innocent bekommt schon Gänsehaut, wenn er ein Vuitton-Täschchen sieht. Und deshalb: «Zu Hause ist es doch netter…»

Ist es natürlich nicht. Denn unsere Sitzkissen mitten in der Inseleinöde stammen noch aus einem Geschäft, das einst ABM oder eben «Au bon Marché» hiess. Sie sind durchgeritten wie eine alte Puffmutter. Und vollgespickt mit Milben und Flöhen. Unser hölzerner Esstisch wackelt und muss mit einem Stück Karton unterlegt werden.

Und um dich herum jammerts und klagts wie auf dem Steueramt. Es sind die Katzen, welche sich ein Stück vom Fisch oder drei Hühnerbeinchen erschnorren wollen. SO IST BEI GÄSTEN WIRKLICH KEIN STAAT ZU MACHEN.

Aber Innocent hat die Knete. Also schweigt der Geknechtete. In Gedanken arbeite ich einen Menüplan aus, der ein zu kurzes Tischbein und alle Flohbisse glorios übertüncht. Ich überlege eben, ob ich die Wachteleier mit einer Mousse aus Wildenten oder doch nur mit Blattgold ausgarnieren soll, da holt mich Innocent in die Realität unserer Partnerschaft zurück: «Nur etwas Einfaches…» WENN ICH ETWAS HASSE, DANN IST ES «ETWAS EINFACHES»! Was stellt sich denn einer darunter vor? Bei Innocent ist es klar: Alles, was über zwei Franken neunzig kostet, ist geprotzt. Unter jeder Sau. Und deshalb auch nicht «einfach». SO ­SIMPEL IST DIE SACHE MIT DEM EINFACHEN.

Aber ich habe Freunde, die sich selber einladen: «Wir kommen auf einen Sprung vorbei. So gegen acht Uhr. Nur etwas «Einfaches»!» Wenn dann nicht ein glacierter Hummer auf der Platte glänzt, sind sie eingeschnappt. Und reden mies.

Oder das Gegenteil: Frau Meier ruft an, weil sie dich unbedingt kennenlernen will. Sie hat alle deine Kochbücher und möchte so schrecklich gerne 23 persönliche Widmungen. Du hast schon zwölfmal eine Ausrede aus dem Lügenköcher gezogen – beim 13. Mal ist auch das gebrochene Bein deines Hamsters kein guter Grund: «O.k. Ich komme…» Frau Meier jubelt durch den Draht: «Ich bereite einen Lunch vor – keine grosse Sache… nur etwas Einfaches.» Wenn du schliesslich in Schlabbershorts, dem H&M-T-Shirt und mit gezücktem Füllfederhalter bei der Meierschen vor der Türe stehst, winken da 20 Gäste in Abendrobe und Smoking. Sie alle wollen auch persönlich gewidmet werden. Das Einfache entpuppt sich dann als Zehngangmenü. Und Frau Meier kann sich gar nicht einkriegen, so freut sie sich: ÜBER­RASCHUNG! ÜBERRASCHUNG!

Zu unserm Geburtstagsfest haben wir also die Nachbarschaft eingeladen – Ernesto war einst Bürgermeister des Ortes. Als der ganze Mafiaverein aufflog, durfte er nur noch mit Fussfesseln golfen.

Dann ist da der Onkel des ermordeten Herrn Gucci. Er war von Anfang an gegen die Ehe. Und er wusste, dass es so kommen würde – «ich sah der Frau ins Gesicht. Und sie hatte die falsche Bluse. HERMÈS. Und dies in einer Familie Gucci. Ich meine, da hätten meinem Neffen doch die Glocken läuten sollen…»

Innocent redet mit all diesen Menschen. Aber er kapiert sie nicht. Erstens ist da die Sprache, von der er nur «vino rosso» und «un altro bicchiere» beherrscht. Zweitens hat er die Ohren eh immer auf «aus». Und malt sich die miese Welt von heute für morgen schön.

Na ja – jedenfalls bin ich drei Tage lang schweiss­triefend an den Töpfen gestanden. Bei den Bauern habe ich geerbtes Tafelsilber gegen Wildschwein-Ragout und bei den Fischern meine Unschuld gegen eine Zahnbrasse eingetauscht. Dazu Aprikosen – IN ALLEN VARIANTEN. Denn der liebe Gott hat sich dieses Jahr nicht lumpen lassen – er behängte unsere Bäume mit diesen Früchten, wie Herr Wanner die Tannen mit Kugeln. Deshalb: Aprikosen-Sorbet zum Beginn … dann Aprikosen-Chutney zur Sau … Aprikosen süss-sauer zum Fisch … Aprikosen-Cake und ­Aprikosen-Kompott als Dessert. Als kleine Überraschung sollten alle Gäste mit einem Glas Aprikosenkonfi­türe überrascht ­werden.

Es waren dann diese Topflappen, die mir Ottilie auf Teufel komm raus strickt, die dem Ganzen eine jähe Wendung gaben. Die Topflappen sind zu weitmaschig gestrickt. Das ist sehr oft das Übel an diesen fleissig gefertigten Dingern, die man auch an Basars oder im Heilsarmee-Brockenhaus bekommt. Jedenfalls: Die Aprikosen sprudeln als Konfitüre in der grossen Pfanne. Ich will diese mit zwei Topflappen vom Herd tragen. Durch die weiten Maschen kommen meine Finger direkt mit den feurigen Griffen in Berührung. Jaulend lasse ich die Pfanne fallen – bin überbrüht mit heisser Konfitüre. Mein Schrei durchdringt gar Innocents Hör­apparat. Schon steht er unter der Türe: «DIE GUTE KONFITÜRE! UND DER TEURE ZUCKER!»

Hier, im kleinen Bezirksspital von Orbetello liege ich nun mit sechs anderen Männern in einem Zimmer. Wir habens kreuzfidel. Und wenn die Arme und Beine auch schmerzen: Eine liebenswerte Schwester löffelt mir die ­Brocken ein.

Innocent sitzt am Bettrand. Und erzählt mir von der grossen Cena, die er nach dem Malheur im Fünf-Sterne-L-Hotel für die Gäste schmiss.

Sein Geburtstagsgeschenk ist eine vergilbte Bibel, die er aus der Spitalkapelle mitlaufen liess. Und das Versprechen: «Zu Hause koche ich dann für dich. Nur etwas Einfaches…»

Dienstag, 16. August 2016