Vom Besuch bei Harrods – einst und jetzt

Illustration: Rebekka Heeb

Nein. Es ist nicht mehr mein England von einst. UND DAS HAT NUN GAR NICHTS MIT DER BREXIT-OPER ZU TUN.Oder damit, dass der typisch englische Sunday Roast heute durch einen veganen Tofu-Burger ersetzt wird. MIR FEHLEN EINFACH DIESE WUNDERBAREN MOMENTE, ALS JEDER IM HYDE PARK NOCH PFLUDDERWEICHE GURKEN-SANDWICHES REINZOG. UND DIE MIT HERRLICHEM TEE AUS DEM PAPPBECHER RUNTERSPÜLTE.

Alles hin. Alles weg.

ALLES AUS DIE MAUS! EXITUS. MIT UND OHNE BREXITUS.

Auch die Lyons-Tea-Houses sind verschwunden. Hier wurde man von den schwarzen Servier-­Mammas mit den wippenden Riesenbusen freundlich angemacht: «Hi love … a lot of milk?»

Wenn man den schwabbelnden Vorbau sah, verging jeder Tucke die Lust auf Milch. Doch bevor da einer auch nur «huch, thank you, NO NO!» abwinken konnte, hatte die schwarze Lady die Riesentasse bereits rechtshändig mit Tee gefüllt und schüttete linkerhand aus einer Blechkanne parallel «cold milk» dazu. So bekam die Brühe die goldgelbliche Farbe des verschwundenen Bernsteinzimmers. Sie schmeckte göttlich. Kostenpunkt: 20 Pence.

Um das Erlebnis richtig englisch abzurunden, leistete sich ein Schleckmaul noch den lauwarmen, buttertriefenden Muffin zum Tee. Das Gebäck hatte Rosinen im Kopf wie Marie-Paule, die einstige Basler Museumsdirektorin aus Luxemburg. Man strich viel gesalzene Butter sowie etwas Bitter­orangen-Marmelade aufs Vergnügen – und: ACH KINDER. DAS WAR BRITANNIA! UND ALLES FÜR EINEN PAPPENSTIEL SAMT PAPIERSERVIETTE. SELBST DIE SCHOTTEN WAREN ZUFRIEDEN.

Heute gibts weder preiswerte Lyons Tea- Houses noch rosinengespickte Muffins. Von einem 20-Pence-Angebot ganz zu schweigen. Damit kommst du nicht mal in ein öffentliches Londoner Scheisshaus rein.

Nein – jetzt kaufst dir für fünf Pfund ein Nuggelwasserfläschchen am Kiosk. Und pisst hinter den nächsten Baum. Dann drehst du dir einen Joint und schickst die Queen als Postkarte nach Hause: «ENGLAND IST MEGA GREAT!»

Okay. Ich liebe England – und nicht nur weil Churchill Zigarrenraucher war oder Prinz Charles neben Rohmilchkäse und Bio-Butter auch seinen persönlichen Butler gut pflegte. Überhaupt, Charles: da können alle Karikaturisten dieser Welt noch so mies seine Abstehlöffel durch den Dreck ziehen – ich habe diese Jumbo-Ohren immer sexy gefunden. Camilla bekanntlich auch. Als die Welt dieses Telefongespräch zwischen ihr und dem prinzlichen Löffel-Lover durch Indiskretion auf BBC mithören durfte, war dann aber doch jeder etwas überrascht: Auch blaues Blut kann erröten lassen. Na ja – vielleicht hinkt der Vergleich. Was ich ­einfach sagen wollte: Die beiden liessens richtig krachen. UND DAS LAND HÖRTE ZU.

Heute sind selbst BBC-Programme mieser als jene heisse Nummer.

Irgendwie hat mir das ganze Theater um die Buckinghams die Firma erst richtig sympathisch gemacht. Oder wie meine Kembserweg-Omi das Wort zum Tag durchgab: «Die scheissen wie wir auch …»

Das heisse, adlige Telefonsexgespräch fand übrigens an einem Sonntagabend statt. Das zeigt wieder mal deutlich: Die Royals schauen keinen TATORT. Und das macht eben den Unterschied.

Zurück zu meinem vermissten England.

Ich war 15, als ich zum ersten Mal meinen Ballettfuss auf die grosse Insel setzte. Grund: Note 3 in Englisch. Und dies als Kind einer Mutter, welche in dieser Sprache glänzte und noch vor dem Zweiten Weltkrieg an einem Blaukreuz-Abend in Aesch die Guttempler mit dem englischen Gedicht «I once had a sweet little doll, dears …» reihenweise zu Heulkrämpfen hingerissen hatte.

Die Familie schickte mich also während der Sommerferien in einen Sprachkurs nach Hastings.Ich wohnte bei einer Mrs Pears. Im Bed-and-Break­fast-Preis waren Frühstückswürstchen auf lindengrünen Erbsen inbegriffen. Die Würstchen sahen verschissen aus und schmeckten nach Sägemehl – die Erbschen nach Pepsodent-Zahncreme. Damals habe ich verstanden, weshalb die Engländer ihren Kummer im Alkohol ersäufen.

Immerhin wars nur eine Stunde Zugfahrt zu Londons Victoria Station. Ich fuhr rege hin. Und habe mein Englisch damals weniger in der Schule als beim Anmachen der Zuggäste geschliffen.

Damals hat mich eine ältere Dame zum ersten Mal ins Land von Harrods gebracht. Die Dame war Hutmacherin in Hastings. Und fuhr viermal jährlich nach London, um sich dort mit bunten Federn und grellem Tüll einzudecken. Bei Harrods jedoch kaufte sie «Marmalade».

Und ich stand überwältigt in diesem Riesenschuppen unter den Kristalllüstern, wo ein Butler die Konfi­türe zu 85 Cents das Glas aus dem Regal fischte.

DER MANN TRUG WEISSE GLACÉHANDSCHUHE! ABER HALLO! Nancy nahm mich am Arm: «And now a fine high tea.»

Heute ist Harrods noch immer chic. Und es gibt auch noch die Männer in den schwarzen Schwalbenschwanz-­Anzügen. Doch meistens stehen sie einfach herum, während sich der riesige Strom von Touristen aus aller Welt wie bei Lidl oder Coop einen Einkaufskorb an den Arm hängt. Und vor der Kasse Schlange steht. Statt des High-Tea-­Corners gibts eine Sushi-Bar oder einen Cüpli-Tresen, wo russischer Kaviar anrollt.

Ich suche nach der Marmalade. Und einer der Frack-Männer führt mich an einen Tisch: «Make your choice …»

Nett gemeint. Dieselben Orangenkonfitüren kann ich heute aber auch bei Migros oder Aldi haben. Also machte ich die Schwalbe. Und kaufe eine Biscuit-Dose mit der behüteten Königin – zum Ereignis ihres ewigen Regententums.

WANN WIRD ANGELA AUF BLECH ZU HABEN SEIN? Und was ist der Inhalt? Berliner mit Zwetschgenfüllung? Oder Saure-Kirschen-Torte? Das sind die Fragen, die sich jetzt stellen.

Die Biscuitdose mit der Queen entdecke ich drei Tage später dann auch im Dutyfree-Shop. Sie ist zur Aktion «3 für 2» verkommen. UND DAS IN ELIZABETHS JUBELJAHR!

PS: Charles gibts übrigens als heimelige ­Keksdose. Füllung: Löffel-Biscuits. Ein Land, das so viel Humor und Süsses offeriert, kann nicht untergehen.

Dienstag, 5. Juli 2016