Als Louise ihre Tochter bekam, war sie bereits 62.
Zwei Monate später wurde sie auch Grossmutter.
Ihre Freundinnen hyperventilierten vorwurfsvoll: «Aber Louise – d a s sind Neuigkeiten. Du hast uns nie etwas gesagt…»
«Ach», winkte Louise ab. «Ich hielt es nicht für wichtig…»
NICHT WICHTIG!?
Die Frauen schauten einander befremdet an: «NICHT WICHTIG?! LOUISE – DIE EIGENE BRUT UND ENKELKINDER SIND DOCH DAS SCHÖNSTE, DAS WIR IN UNSERM ALTER NOCH HABEN!»
Louise war nicht dieser Meinung. Sie fand eine Reise auf die Malediven oder einen 7-Gänger bei Caminada weitaus spannender. So etwas brachte ihr mehr Erfüllung.
Aber sie hütete sich, das zu sagen. Und zuckte einfach die Schultern: «Meine Tochter und ich sind uns nie sehr nahegestanden. Erst jetzt, seit Emmylie da ist…»
«Eben!», nickte die Runde wissend, «GROSSKINDER VERÄNDERN UNSER LEBEN!»
Dann klopften sie verständnisvoll auf Louises schön gepflegte Hand: «…das Verhältnis zu deiner Tochter wird sich jetzt auch bessern. Wie heisst sie noch?»
«Alexa», lächelte Louise. Dann zückte sie das Handy. Und zeigte Bilder von einer schönen, jungen Frau herum: «Sie ist Meeresforscherin in Australien.»
DIE RUNDE SCHLUCKTE. EINE MEERESFORSCHERIN HATTE KEINE IM REPERTOIRE.
Louise scrollte das ganze Programm durch:
Alexa mit der kleinen Emmylie. Alexa mit Bob. Alexa vor den Palmen.
«Ihr Mann ist Professor für Genetik», setzte Louise noch einen drauf.
«Aha», sagte die Runde jetzt spitz. Und verstaute düpiert die Handys in den Vuitton-Taschen.
LOUISE WAR DER UNSCHLAGBARE KNÜLLER DES TAGES!
Es war nach einem der wöchentlichen Cüpli-Treffs gewesen. Die Ladys hatten wieder einmal über ihre Grosskindern losgesülzt. Handy-Schnappschüsse machten die Runde. Und Louise hockte steif da. SIE HATTE EINFACH NICHTS ZU BIETEN. NADA. SCHON GAR KEIN JÜNGSTGEMÜSE.
Seit Jahren verwitwet (Hans war vom Pferd gefallen. Genickbruch) – wurzelverstockt und kinderlos, fühlte sie sich in solchen Momenten ausgegrenzt.
Frustriert ging Louise heim. Sie rief ihre Nichte zweiten Grades in Frutigen an: «Stell dich vors Tropenhaus unter die Palme. Pack deinen Alten und die Kleine dazu. Und fotografiere drauflos – ICH BRAUCHE EIN ENKELKIND. UND EINE TOCHTER IN AUSTRALIEN!»
Künftig zeigte auch Louise das Handy herum.
Sie gabs vollfett durch: Emmylie hatte jetzt die Matur und dank Bologna einen Studienplatz in Padua.
Alexa und Bob hatten sich ein Zweithaus an der Küste gekauft (Ferienaufnahmen ihrer Nichte aus Marina di Grosseto – aber das konnte man nicht erkennen. Meer ist Meer).
Und: «Sind die nicht verrückt?! – Jetzt haben sie sich noch Pferde angeschafft!»
Es war ein Foto vom Ponyhof.
Als Louise der Runde zum dritten Mal fernblieb, wussten die alten Damen, was dies in ihrem Alter zu bedeuten hatte.
«Nicht einmal eine Todesanzeige … ABER BEIM ERBEN SOFORT DA!», giftelten die Ladys. Und dann genüsslich: «Die arme Louise – vermutlich war das Verhältnis zur forschenden Tochter doch nicht so rosig!»
Dann zückten alle wieder die Handys.
«Hans-Hugo macht jetzt das Flugbrevet …», sagte eine stolz. Und bot Hans-Hugo mit Fliegerbrille herum.
Von Louise hatte keine ein Foto auf dem Speicher.
Sie hätten sich eh ein falsches Bild von ihr gemacht.