Vom Horrortrip nach London und dem 90. der Queen

Illustration: Rebekka Heeb

Die Reise ist HORROR. Der grosse Absteller. Okay. Es war schon früher nicht einfach, nach London zu kommen. ABER IMMERHIN.

In den 60er-Jahren war die Stadt an der Themse hip: Portobello Road mit knöchellangen Secondhand-Polizistenmänteln. Dazu haarige Russenmützen und hautenge blumige Hosen, die sich über dem Schuh weit öffneten wie drei Teekannenwärmer.

MUSS ICH NOCH MEHR SAGEN?

In Basel stieg man in den Zug nach Calais. Kotzte sich auf dem auf und ab schippernden Dampfer nach Dover so richtig aus. Und wenn man endlich die Küste der Königin sah, war jeder glücklich. Auch wenn die Luft nach gebranntem Torf, Teer und Russ stank.

Es waren da mehrere Highlights, die mich jedes zweite Wochenende über den Kanal trieben: die Hasenpfote in den Balletthosen von Nurejew. Er tanzte mit Margot damals in Covent Garden. Ich hatte kein Geld und bei all seinen Sprüngen Stehplatz – man darf ruhig sagen, kaum jemand anders ist so auf Nurejew gestanden wie ich zu jener Zeit, als er dreimal pro Woche mit der Fonteyn im Schwanenteich unterging.

Später hat die Queen Margot zu «Dame Fonteyn» geschlagen. Für mich, den tapfer Gestandenen, hätte sie ruhig noch einen Schlag nachgeben dürfen. Auch Nurejew ging bei Elizabeth punkto Ritterschlag leer aus. Sie zeigte kein Interesse an der Hasenpfote. Sie schien mit ihrer deutschen Hanswurst schon geschlagen genug.

Und nun also: «Die Queen wird 90! Mach etwas!» Ich weiss nicht, was sich Redaktionen von heute so vorstellen.

WAS MACHT MAN MIT DER QUEEN?

Ich kann doch nicht einfach anrufen und sagen. «Hello, Missis Königin – erinnern Sie sich noch, wie wir einander an der Grün 80 die Pfoten schüttelten. ICH WAR DER EINZIGE MANN, DER EINEN HUT MIT SCHLEIER TRUG. Das wird Ihrer Hoheit sicherlich unvergesslich bleiben…»

NEIN. GEHT NICHT.

Also rufe ich Elizabeths Entourage an. Da ist Karl. Er behüllt sie. Ich meine, wenn jemand auf Biscuitdosen abgebildet wird, braucht das ein gutes Outfit. Sonst wäre die Dose ja nur Blech. Und die Royals wären es auch. ABER DA KOMMT KARL. UND MACHT EINE SHOW DARAUS.

Natürlich ziert er sich: «Man kann nicht einfach zur Königin … eher kommst du zum Papst oder…» AM HOF DES PAPSTES WAR ICH SCHON. DAS IST NICHT DASSELBE. IMMER DIE GLEICHEN FUMMEL.

«Aber du bist doch ihr Schneider und…»

«Wir haben Redeverbot. Wie die drei Affen. Besonders jetzt vor der grossen Feier… nichts sehen, hören, reden… Die nahe Entourage legt ein Schweigegelöbnis ab. Versuchs über Anton. Er ist im Club…»

Anton kocht immer mal wieder für die Royals. Queen Mum war ganz verrückt nach ihm, als er im «Dorchester» noch zwei Michelin-Sterne einrührte. Man darf ruhig sagen: Ohne unsern Schweizer Toni würde die englische Gastronomie noch immer in der Fish-and-Chips-Mayo baden gehen. In ihrer Dankbarkeit hat Elizabeth auch hier die Keule gerührt. Sie hat Mosimann zu sich beordert. Und dann mit Schwertschlag beordet.

Doch nun steckt unser Londoner Koch in ­seinen Memoiren. Er feiert nämlich auch einen Runden. Wie die Queen. Nur 20 bunte Lenze und 500 Hüte weniger. Deshalb: «Ich bin daran, 700 Ordner durchzuheuen. Da habe ich keine Zeit, dich zum Hof zu fahren. Im Übrigen ist sie ja nicht der Kasperle… sie zeigt sich nicht jedem…»

O.K. NUR AUF BLECHDOSEN.

Aber wie gesagt: Eher kommt ein Kamel durchs Nadelöhr als ein Hammel zur Queen. Doch wer nichts wagt, kann eh in den Mond gucken.Also buche ich London. Und damit wären wir wieder am Anfang dieser royalistischen Geschichte. Und der Anfang ist der Flug nach Luton.

DER FLUG WAR HARMLOS. Nun gut, ein dickes schwarzes Baby hat neben mir seinen Schoppen genuggelt und danach alles wieder auf meinen schwarz-weiss gestreiften Nadelanzug rausgelassen – aber die Mutter hat nur stolz gelacht: «Molly likes you.» Und schon kam eine aufgeregte EasyJet-Horde, spritzte mich um und sang dazu «Take it EASY… liebes Liesi!»

Dann standen wir zwei Stunden in einem Horror Schlange: Die wunden Beine öffneten sich – aber nicht die acht Immigrationsschalter. Irgendwie war irgendwo der Wurm drin. Und als mich eine dicke Frau in einer Uniform, deren goldene Knöpfe zu explodieren drohten, endlich ins Britische Reich einliess, war ich fix und fertig.

Für die Fahrt ins Hotel wollte der chinesische Fahrer einen Betrag, mit dem ich dreimal um die Welt hätte reisen können. Und als ich beim Hotel mühsam die Koffer aus der Kiste gebuckelt hatte, fauchte er mich an: «Tip not included!»

JETZT WISSEN WIR, WESHALB DIE ENGLÄNDER KEINEN GESANGS-CONTEST MEHR GEWINNEN!

Vor dem Knightsbridge-Kasten hatten vier Zuhälterkarren parkiert. Alle in Goldfarb. Alle mit Saudi-Nummernschild – und da stand ich dann mit meinen zwei Coop-PrixGarantie-Taschen und musste mir vom skeptischen Rezeptionisten ein missvergnügtes Brauenheben gefallen lassen: «Wir haben Vorauszahlung, mein Herr.»

«DIE KÖNIGIN ERWARTET MICH», sagte ich hoheitsvoll. Und gab die Kreditkarte ab. Leider war die Limite überschritten. Und damit auch die Geduld des schwarz Befrackten hinter dem Tresen: «Ich glaube, wir sind ‹complet› – mein Herr!»

Als ich weinend auf der Strasse stand und mir ein paar der vorbeigehenden Saudis freundlich einige Pfundnoten zuwarfen, tauchte Karl auf. Er schüttelte missbilligend den Kopf: «Mit diesem verkotzten Kittel kommst du in London nicht einmal bei einem Burger King rein… geschweige denn bei Buckinghams…»

Ein Bed-and-Breakfast-Familienbetrieb erbarmte sich. Die kleine Pension liegt etwa anderthalb Stunden ausserhalb von London.

Aber Buckingham hat versprochen, mich mit der Kutsche abholen zu lassen.

Als ich mich telefonisch meldete, «der mit dem Schleierhut an der Grün 80», hats vermutlich geklingelt. IMMERHIN.

Dienstag, 19. April 2016