Vom Abschied in Sansibar und einem Massai-Löwen

Illustration; Rebekka Heeb

«Die Massai wollen uns am letzten Abend zum Essen einladen!» – Innocent glühte wie die untergehende Sonne. Die Vorfreude hebelte seinen Sparsamkeitsfimmel ins Out: «WAS BRINGEN WIR DIESEN NETTEN MASSAI-BURSCHEN NUR MIT...?»

Natürlich hatten wir keine Schokolade dabei. Es ist nicht das Wahre, die Schweizer Toblerone nach Sansibar zu schleppen. Schon am Zoll ist sie verflüssigtes Glück. Die Schokolade breitet sich über deine himbeer­farbenen Shorts aus. BRAUNE FLECKEN ­ÜBERALL! EIN BILD ZUM QUERSCHEISSEN, SAGE ICH EUCH!

Zurück zu den Massai. Sie sind gross. Sie sind dunkel. Und sie sind brandmager. Schon am ­ersten Tag, als wir gemütlich vor unserer Hütte hockten und erfolglos versuchten eine Kokosnuss milchwärts durchzubohren, kamen sie mit ihren zwei Meter langen Stäben. Die hohen Männer waren in Stoffe gehüllt, die jede Dragqueen in den Schatten stellten.

Dazu: pfundweisse Schmuck an Hals, Fuss­gelenk, Ohr und anderswo. ABER ALLES OHNE HUCH UND HACH! DAS MACHT DANN EBEN DER UNTERSCHIED ZUR FUMMELKÖNIGIN!

Die hochgeschossenen Männer also nahmen Innocent wortlos die Kokosnuss aus der Hand. Sie zückten ein gebogenes Messer aus dem Fummel. Schlugen der Frucht mit einem einzigen Schlag den oberen Teil weg. Und hielten ihm die ­Kokosnuss hin, als wäre sie der Heilige Gral. «Allerliebst», sagte Innocent.

Es entspann sich nun ein Fragegeplänkel ­z­wischen Innocent, der nur «bullabulla» verstand und verträumt nickte: «Voi due Italiani... belle Signore?» «Sie wollen schöne italienische ­Zigarren», flüsterte Innocent etwas irritiert. Dann zuckt er entschuldigend die Schultern: «NO ­SMOKING». «You English? ... Hot Ladies fuckfuck?» «Nein, so heimelig!», strahlt Innocent, «sie sind heiss auf englischen Schabernack!» Ich zog die Notbremse: «We are Swiss, the Country of Cows!» «Du sprechen Deutsch, Mutti Merkel?»

Der Höchste der Hohen fischte nun aus einem Beutel, der wie ein Theatertäschchen über und über mit Perlen bestickt war, einen schwarzen Holzlöwen hervor. Alles nicht grösser als mein kleiner Finger: «Geschenk von Massai an dickes Merkel-Mann. Massai-Bursche muss töten Löwen mit Speer. Sonst kein Weib...»

Ich wollte eben fragen, ob das die Sache denn wert sei, aber da kam Simba und redete wie eine Dauerbrause auf die Männer ein. Der Höchste der Hohen spuckte nun aus. Sah mir funkelnd in die Augen: «Ich Maitera...», dann nahm er mir den kleinen Holzlöwen wieder aus den Händen... Simba und Maitera diskutierten hin und her. Manchmal übersetzte unser Sansibar-Freund: «Wollen wissen, ob ihr Zwillinge?» NA DANKE.

In diesem Land der harten Kokosnüsse jagt man mir 80 Lenze auf den Tacho. «Sag, ich sei der Erstgeborene», gebe ich giftig zurück. Innocent aber kann sich gar nicht mehr einkriegen: «ZWILLINGSBRÜDER... DER HATS DIR ABER GEGEBEN!» Er küsst dem Höchsten der Hohen die beringten Finger und schenkt ihm eine Swatch- Uhr! Sie hat zwar bereits vor drei Wochen den Geist aufgegeben. Aber immerhin – sie ist grell-­roter Hartplastik und «Made in Switzerland»!

Die Massai umtanzen nun meinen ­jüngern Zwillingsbruder. Und laden ihn ein, sie im Busch zu besuchen. Da sie als Getränk nur Kuh- oder Ziegenmilch, gemischt mit Tierblut anbieten, kann ich mir vorstellen, dass Innocent für seinen Gin Fizz zu Hause bleibt.

JA HUNDEDRECK! Zwei Tage ­später taucht er nicht zum Apéro auf. UND DAS IST ALARMSTUFE FÜNF. Simba und ich kämmen die Hütten der Umgebung ab. Doch erst, wie der Busch dunkler wird, vernehmen wir seinen wilden Fisteltenor aus einer der Kuhdung-Hütten: «Negeraufstand ist in Kube... Schüsse gellen durch die Naaaacht!» ICH MEINE: WIR WISSEN ALLE, DASS ERSTERES EIN POLITISCH UNKORREKTES UNWORT IST. UND DANN NOCH HIER IM BUSCH! Doch der Massai-Gruppe scheint es zu gefallen. Jedenfalls haben sie Innocent auf einen verrosteten, räderlosen Jeep gehievt. Und für die alte Rampensau wurde das zur ganz grossen Schau. Die Frau-Wirtinnen-Verse hatte er bereits schon von A bis Z abgesungen. Nun winkte er uns in Trance entgegen: «Ich bin hier der ganz grosse Hammer... sie lieben mich... Legishon hat mir seine Frau angeboten!»

Erst später erfahre ich, dass Legishon so viel wie «der Gütige, Freundliche» heisst. Er bietet allen seine Frau. Die Massai tauschen diese untereinander aus, wie unsere Kinder die Fussballerbildchen.

«Sie dürfen bis vier Frauen haben», erzählt Innocent mir auf dem Heimweg total aufgewühlt. «Und sie essen fast nur Fleisch – Lamm und Ziege. Kein Gemüse. Aber Kokosnuss und das Blut ihrer Schafe und Rinder. Und...» «KÖNNTEN WIR JETZT BITTE DAS THEMA WECHSELN? MALAIKA HAT EIN GEMÜSECURRY AUF DEM FEUER...» Innocent schweigt gereizt. Und knurrt: «Gemüse macht impotent. Sagt Maitera. Und er weiss, wovon er redet. Er hat vier Frauen und zwanzig Konkubinen...» VERHÄLTNISSE SIND DAS HIER – WIE IM ENGLISCHEN PARLAMENT!

Am Abend vor unserer Abreise haben wir dann noch einmal Maitera und seine Familien besucht. Sie hatten zwei Ziegen über dem Feuer. Und dazu gab es etwas, das wie gestockte Milch aussah und noch gestockter schmeckte. Die Männer lösten plötzlich ihre Tücher von den Schultern – und wir vibrierten schon: JETZT GEHTS LOS.

Ging es dann auch. Sie drapierten hölzerne Schüsseln, Becher aus Horn, Salatbestecke mit geschnitzten Elefanten und Tonnen von Perlketten auf ihre Tücher. Es war die Tupperware-Show der Massai. Wer konnte da schon Nein sagen. Also kauften wir auch noch einen riesigen perl­bestickten Reisesack, um all die handgemachten Kostbarkeiten transportieren zu können.

«Alles made in China» – blaffte Simba, der uns begleitet hatte. MIR EGAL! Maitera hat mich zum Abschied umarmt: «SCHÖNES MERKEL-MANN!»

Dann hat er mir seine kleine Holzfigur in die Hand gedrückt. DAS ALTER HAT AUCH SONNIGE SEITEN – MAN MUSS 80 WERDEN, UM VON EINEM ZWEIMETERMANN EINEN LÖWEN GESCHENKT ZU BEKOMMEN!

Dienstag, 12. April 2016