Von Sansibar und immer wieder Hakuna Matata

Illustration: Rebekka Heeb

Weiss der Teufel, wie wir auf Sansibar kamen. Vermutlich der Name. Er tönt ja nach Märchen, Sehnsucht und tausend Gewürzen. Jedenfalls buchte ich. Und wollte mich in Anderschs Buch «Sansibar oder der letzte Grund» etwas mit dem Thema aufheizen.

Es war ein Schlag ins Wasser. IN 37 KAPITELN KAM SANSIBAR NICHT VOR: NICHTS. Alles ist Sehnsucht nach einer guten Welt. UND DAMIT WÄREN WIR WIEDER AM ANFANG.

Als wir unsern Freunden eröffneten, sie möchten doch die Orchideen alle zwei Wochen giessen, das Hamsternäpfchen täglich einmal auffüllen und die Gratis-BZ vom Donnerstag direkt entsorgen, schaute jeder schräg: «Sansibar?! AUSGERECHNET! Wäre Leukerbad nicht passender? IN E U R E M ALTER!»

Die Menschen sind ja so was von nett!

Wir liessen uns rundum impfen. Kauften Kanister mit hochfaktorigem Sonnenöl. Und prüften alle Zähne.

Innocent müllte einen Extrakoffer mit Mittelchen «für» und «gegen» voll: g e g e n Dünnpfiff und Hitzschlag. F ü r Alkoholverbot (Rum 90 Prozent) und Wanzen im Bett. Bref: Wir waren rundum gerüstet.

Wie wir nun in Daressalam landen, ist das etwa so, als müsste das gerupfte Huhn ins Rohr. Die Luft flimmert und Innocent wimmert: «Ich brauche sofort ein Bier. Alte Menschen müssen trinken!»

Ich muss ihn belehren: «DAS IST HIER EIN ­MUSLIMISCHES LAND. 95 PROZENT SIND MIT ALLAH. UND OHNE BIER!»

Da macht er gleich wieder auf miese Laune: «Wir hätten doch Leukerbad buchen sollen, dort gibts wenigstens Tee Rum.» SCHON WERDEN WIR DURCH EINE BARACKE ZUR IMMIGRATIONSSTATION GESCHLEUST.

Das Schälterchen der Einreise entspricht in seiner Grösse einem Katzenbett. Die Leute stehen Schlange. Und wir ganz, ganz hinten.

«Mach die Schraube!», flüstre ich Innocent zu. «Dann bekommen wir Notzulage…»

Aber natürlich ziert sich die alte Geige: «Du spinnst ja wohl. Die ­denken dann, ich sei ein Tattergreis. Nein. Den Zusammenbruch überlasse ich dir – DU bist doch die Dramanudel.»

IST ALLES GAR NICHT NÖTIG!

Wir sind nämlich die ­einzigen Immigranten mit Sonnenhüten. Einer von uns beiden hat seine schönen Augen gar hinter einer verdunkelten Strassbrille ­(Versace. Secondhand) versteckt. Ja, dreimal dürft ihr raten …

Jedenfalls kommt da ein dicklicher Polizist lachend auf uns zu. Seine Zähne leuchten aus dem Schwarz wie eine Reihe beleuchteter ­Trommelschläger in der Top Secret Show: «You two brothers?»

«Oh no», wische ich den Irrtum gleich mal zackig vom Tisch, «we are married. In unserem Country is so öbbis nämlich möglich!»

Da donnert mir Innocent seinen spitzen Ellbogen derart in die Eier, dass ich die Engel singen höre: «JA SPINNST DU DENN. DIE HABEN DOCH ALLE EINE SCHWULENPHOBIE. ALSO MACH HIER AUF MACHO UND MANN!»

Schliesslich seufzend zum Polizisten: «Yes. Two Brothers…»

Der schaut noch immer fasziniert auf meine Strassbrille von Frau Versace. Schon leuchten ­wieder die Zähne: «Wait please!»

Er schleppt Innocent einen abgeschabten Lederfauteuil an. Und so wundervoll gestuhlt, wedelt sich der Macho mit der EMIRATE-Speisekarte Kühlung zu. Schliesslich flüstert er aus seinem dicken Hals: «Ich sollte mal kurz austreten …»

JA HIMMEL‚ BIN ICH DAS KINDERMÄDCHEN ODER EIN GERIATRIEPFLEGER FÜR PIPIFÄLLE!

«Es gibt Pampers auch für grosse Grössen», gebe ich mal giftig den Tarif durch. Und schickte ­meinen lieben Freund zu einer Türe über dem so etwas wie ein Männchen gezeichnet ist.

Nach fünf Minuten kommt er total zerstört zurück: «Ich bringe das einfach nicht … Es ist kein Licht im Raum. Und da stehen nur diese schwarzen Männer an den Schüsseln. Aber wenn so jemand neben mir steht, habe ich nie gekonnt.»

LANGSAM BEGREIFE ICH, WESHALB IM BUCH «SANSIBAR ODER DER LETZTE GRUND» NICHTS ÜBER DIE INSEL GESAGT WIRD!

Doch Schluss mit lustig. Wie eine rote Ampel funkeln über all dem Dunklen unsere Schweizerpässe auf – der Polizist lacht: «Hakuna Matata»‚ alles kein Problem. Dann schaut er Innocent doch etwas schräg von der Seite an und zeigt auf mich: «IS NOT BROTHER … IS YOUR BIBI!»

Er strahlt: «GOOD FAT BIBI!»

Nun ja ‚ vielleicht wäre eine Nullkur in Leukerbad doch passender gewesen.Jedenfalls werden wir nun fröhlich lachend durch alle Zollstationen durchgewunken.

In der gleissenden Sonne steht ein Lastwagen mit offener Plache: «He brings you to national airport», sagt der nette Polizist. Und strahlt schon wieder: «Jambo … Jambo!»

Jambo, Jambo?

Hat die Schweiz mit diesem Lied nicht einmal den Grand Prix ­Eurovision aufgemischt!?

«Thanks for all», sage ich dem ­netten Beamten. Und flüstere ­Innocent zu: «Reib ihm einen Zehn-Dollar-Schein. Ohne ihn würden wir noch immer Schlange stehen.»

«DAS IST BESTECHUNG!», ruft der alte Jurist empört. «Es gibt auf Sansibar keine Korruption!»

Also drücke ich dem schwarzen Mann meine ­Versace-Brille in die Hände.

Er schaut sie verzückt an: «Ohhh… for me?»

«Yes», lächle ich anzüglich, «or for your Bibi.»

«Hakuna Matata»‚ lacht er.

Und dieses «Hakuna Matata» bekommen wir nun immer wieder zu hören. Kein Wunder, dass Lloyd Webber die Sache zum Song gemacht hat.

Hakuna Matata klingt unkompliziert. Und nach Sonne. Sand. Und Sansibar.

Wir winken dem Tansania-Beamten vom offenen Lastwagen aus ein letztes Mal zu. Der Chauffeur drückt jedem eine Flasche Wasser in die Finger: «Two Brothers?»

Innocent zeigt auf mich: «It’s my Bibi!»

Der Mann lacht schallend. «Hakuna Matata!»

Dienstag, 29. März 2016