«Pampeluure!» – so nannte die Familie den Kaffee meiner Grossmutter.
Die Kembserweg-Omi kochte Wasser im Pfännchen.Dann stellte sie ein zylinderförmiges Etwas auf eine dickbauchige Kaffeekanne. Ins Etwas kam ein kleines, rundes Filterpapierchen. Dünn. Und weiss. Aufs Papierchen streute die Omi einen gestrichenen Kaffeelöffel voll mit Kaffee. Die Kaffeebohnen mahlte sie in einer hölzernen Handmühle. Sie klemmte diese zwischen ihre rheumatischen Beine. Und drehte wild drauflos.
Dann zog sie die kleine Schublade. Und löffelte das Gemahlene so sorgfältig raus, als wäre es Goldstaub.
Jetzt öffnete sie die hohe, eckige Kartonpackung der Firma Frank. Hebelte drei gehäufte Suppenlöffel voll von dem preisgünstigen Pulver zum kostbaren Kaffee. Und mischte alles.
Das kochende Wasser wurde in den Metalltrichter geschüttet. Langsam. L a n g s a m. Sodass die schäumende Brühe sich einen Weg in die Kaffeekanne schaffen konnte.
Mutter stand daneben. Und hatte Gänsehaut: «Willst du damit die Ameisen vergiften?»
Die Omi tat pikiert: «Wir sind nicht alle im Fetttopf gross geworden, Lotti. IM KRIEG GABS NUR ZIGOORI…»
«Die Schlacht ist aus, Anna!», meinte die Mutter ebenso spitz.
Und dann war kalter Kaffeekrieg zwischen den beiden.
«Zigoori» – so sagten sie damals dem Kaffee-Ersatz. Er wurde im Basler Quartier Kleinhüningen geröstet. Und wenn die Firma Frank-Aroma zünftig einheizte, zog stets dieser einzigartige Duft, der einem die Tränen in die Augen trieb, durch alle Strassen.
«Das Wetter wird schön», streckten die Leute die Nase in die Luft. Sie waren stets heiter drauf. In einem Quartier, wo es nach Chemieabgasen oder Kaffee-Ersatz duftete, musste man positiv denken.
Das «Aroma» wurde aus «Zichorie» gewonnen. Ähnlich wie Mokkabohnen wurden die Bitterpflanzen geröstet. Gemahlen. Und in die legendären blauweiss-gestreiften Packungen abgefüllt.
Die Packung hatte ein kleines Stück rotes Seidenpapier, um alles gut abzudecken. Und die Omi blinzelte mir zu: «Ich zeig dir jetzt ein Geheimnis – aber du darfst es niemandem verraten!»
Sie spuckte aufs rote Abdeckblatt. Und rieb sich damit die Wangen rosig.
Na ja – das Kind wurde ein grosser Fan der Frank-Aroma-Packung. Und «der Junge gedeiht prächtig – schaut nur seine roten Backen», lobten die Tanten.
Als ich dann den roten Fetzen auch auf den Lippen ausprobierte, lobten sie nicht mehr.
Kaffee war zur Zeit nach dem Krieg Kult. Er brachte den Duft von «jetzt haben wirs gut – wir sind nochmals davongekommen!» Ich erinnere mich, dass die «Wienermischung» am meisten verschenkt wurde. Und an Weihnachten wertete ein Pfund «Echter Mokka» die Fresskörbe auf.
Kaffee war kostbar. Eine Extra-Freude. Und nicht für alle Budgets.
Eines Tages schleppte Mutter ein Riesenpack heim. Im Paket waren zwei Glaskugeln in Papier gewickelt. Schliesslich kam noch ein rundes Metallding zum Vorschein. Es hatte einen Schalter. Und brauchte Strom. Viel Strom. Aber damals dachte keiner an Umwelt und Natur – nur an den Kaffee.
Jedenfalls wurde die untere Kugel mit Wasser aufgefüllt – oben gab man das Kaffeepulver rein. Stecker an – UND AB DIE POST!
Schon gurgelte das heisse Wasser von unten ein Stockwerk höher zum Kaffee. Es blubberte fröhlich. Und das Pulver wurde in der oberen Kugel mit dem Wasser vermischt. Schliesslich zog sich die dunkelbraune Brühe wieder in den unteren Teil zurück. Der Satz blieb oben. Fertig.
«…und so etwas sollen wir trinken», unkte die Omi.
«Schau nur – die Farbe ist schön mokkabraun und nicht so grau wie eine Wasserleiche…», triumphierte Mutter. Die Omi nahm einen Schluck. Und rümpfte die Nase: «MEIN Kaffee ist mir lieber!»
Jahrelang hat bei uns das Kaffeewasser in der Glaskugel geblubbert. Irgendwie hatte es etwas Gemütliches. Erst als wir uns in den 70er-Jahren in der Galleria von Neapel den ersten Espresso an die Lippen führten (und diese saumässig verbrannten – denn ACHTUNG: neapolitanische Espressotässchen brennen wie die Hölle), als wir da diese wunderbare, schwarze Köstlichkeit schlürften, wussten wir: Sowohl Omi als auch Mutter hatten uns Muckefuck serviert. DAS HIER IST DAS WAHRE GLÜCK, DAS ALLE HERZEN HÄMMERN LÄSST.
Seit George Clooney nun sein «what else» rauslässt, lassen auch die Italiener das Glück auf Clooney-Art explodieren. Die Kapsel ist hier Kult geworden.
Wenn ich irgendwo in Rom eingeladen bin und man mir den Schweizer Kapsel-Espresso kredenzt, stelle ich die Brust. Und frage in rotweissem Chauvi-Stolz: «…UND WER HATS ERFUNDEN?!»
Aber das ist dann wohl wieder eine andere Geschichte…