Von Spiegeleiern – und wer zuerst da war

Illustration: Rebekka Heeb

Spiegeleier sind das Gelbe vom Ei. Zumindest kulinarisch betrachtet.

Ich meine: Zwei Eier hat jeder.

Sie gehören in den ­Eisschrank wie «Milch­schokolade mit Nuss». Oder Rollmöpse.

DIES ALLES FÜR DEN GROSSEN NOTFALL.

Der Notfall beginnt damit, dass die Bande in der «Big Bang Theory» in ihrer neunten Staffel Fast-Food-Reis vom Indian-Shop reinhoovert. SIE REDEN MIT VOLLEM MUND! Und schon regt sich in uns der Appetit.

Da ich Appetit jetzt aber nicht brauchen kann, weil der Montag mein «HEUTE NUR EIN GRIECHISCHES FEIGENJOGHURT»-Tag ist, switche ich weiter. AUF DEM NÄCHSTEN KANAL: KOCHSENDUNG.

Ein fadendünner Küchenchef (NEID! NEID! NEID!) lässt ein Stück vom toten Tier in Olivenöl anbraten.

UND SCHON FINDE ICH MICH SELBER VOR DEM EISKASTEN WIEDER.

Ich gebe also Butter in die Pfanne. Der muss ungesund braun brutzeln. Mit bald einmal 70 Lenzen pfeife ich auf den Onkel Doktor und seine Mahnstimme, die meinen gesundheitlichen Untergang genauso depressiv ankündigt, wie der «Tagesschau»-Moderator das Böse dieser Welt – ich weiss also: drei Spiegeleier, und du bist zwei Tage früher tot.

Dennoch: Ich klatsche die Eier ins Pfännchen. Lasse sie richtig glasig braten. UND PFEIFE MIR ALLES HEISSHUNGRIG REIN.

Dann tauchen die fetten Finger noch dicke Brotmocken ins Dotter.

HIGHLIVE – EI LIVE!

Völlig voll schleppe ich mich wieder ins Bett zur «Big Bang Theory» – mit schlechtem Gewissen zwar. Aber so glücklich wie das Huhn, das meine drei Eier gelegt hat. Ich kaufe Eier nämlich nur von glücklichen Hühnern (Obwohl ich mich immer wieder fragen muss: Wer – ausser Doktor Dolittle – hat je schon mit einem Huhn über dessen Glück reden können? Eben!).

Die WHO hat festgestellt, dass Spiegeleier des Teufels sind. Die WHO kann mich mal. Schon mein herzensguter Vater ist total auf das Ei abgefahren. Immer wenn er von seinen Tramtouren zur Pause heimkam, stellte die Omi das gelbe Emaille-Pfännchen auf den Herd. Die Butter war eh schon am Laufen.

Vater grinste mir dann zu: «Also Bub – grosse Frage. Wer war zuerst? Das Huhn? Oder das Ei?»

Zur Allerweltsfrage säbelte er am Basler Brot herum, sodass die Krustenflocken wie ein schwarzer Schneesturm über den Tisch stoben.

«So Hansi!» – Die Kembserweg-Omi stellte die Spiegeleier vor ihn hin.

«Pfeffer! Salz!», bellte der alte Macho. Und die Omi rannte. Sie holte die kleine Menage mit den beiden Glastöpfchen und dem Maggifläschlein. Natürlich war das Salz verkrustet. Denn die Wohnung der Omi war feucht.

Vater knallte das Glas auf den Küchentisch – ein paar Körner lockerten sich. Er schüttelte den Streuer über die Eier.

«Nicht zu viel, Hansi – denk an deinen Blutdruck!», mahnte die Omi.

«Schon recht, Mutter!», bruddelte der schöne Tramführer in seiner schwarzen Uniform mit den silbernen Baselstab-Knöpfen.

Dann griff er zu Messer und Gabel. Und: «Nicht mit dem Messer, Hansi», jammerte die Omi.

«Schon recht Mutter!»

Ich war damals vielleicht drei oder vier Jahre alt. Sass am Tisch. Und schaute so gierig zu den Spiegeleiern, als wären sie die von DiCaprio.

Natürlich betete ich meinen Vater an. Ich betete noch mehr, er möge doch Einsicht haben. Und seinem wunderbaren Sohn ein klitzekleines Bissen-Bisschen abgeben. Aber dieser verdammte Macho hatte null Feingefühl.

NULL – SAGE ICH EUCH!

Meine Augen müssen mir vibrierend aus dem Kopf gestanden haben – doch er übersah das, indem er schlürfend das schlabbrige Eiweiss vom Messer leckte.

Vater hatte nur Blicke für Möpse in tiefen Ausschnitten. Oder für den prallen Hintern von Rösli aus dem «Hopfenkranz».

DER HEISSE HUNGERLEIDERBLICK SEINES WUNDERBAREN SOHNS LIESS IHN KALT. Später hat mir Fred, ein befreundeter Psychologe, dessen Merkmal ein gestricktes Regenbogen-Käppi ist, erklärt: «Das Ei deines Vaters hat dich bis heute blockiert!»

Fred ist in fühligen Kreisen eine Kapazität. Keiner führt eine Erfahrungsgruppe so stimulierend zum Energiefluss wie Fred. Und keiner kann sich so präzis in der Mitte einmitten wie er. Aber ich vermute, beim Ei meines Vaters liegt er falsch. Ich löste schon sehr früh die Blockade. Als mein Vater nämlich das Emaille-­Pfännchen mit dem letzten Stück Brotrand ausgeputzt und auch diesen Bissen ganz für sich alleine runtergeschluckt hatte, schrie ich Zetermordio.

Er hatte noch nicht einmal losgerülpst, als die Omi ihren tobenden Enkel schon tröstend an ihren Busen drückte:

«Lass schon Bubi – ich werfe dir auch zwei Eier in die Pfanne!»

DAS WAR ZU EINER ZEIT, ALS EIER NOCH EINE KOSTBARKEIT WAREN. UND VON HERRN RECHSTEINER IM MILCHLÄDELI EINZELN INS ZEITUNGS-PAPIER GEWICKELT WURDEN!

Vater hatte sich bereits auf der Couch horizontal hingelegt, als ich die Spiegel­eier in der brutzelnden Butter vorgesetzt bekam. Und umständlich zum Besteck griff. «Nicht mit dem Messer, Bub», mahnte die Omi.

Noch heute gehören Spiegeleier (neben Hackbraten und Zunge an Kapernsauce) zu meinen Favoriten. Dafür bin ich jedem Huhn dankbar.

Natürlich ist auch griechischer Joghurt mit Feigen etwas Schönes. Aber – um das Rätsel ­meines Vaters zu lösen – das Ei war zuerst da!

Dienstag, 1. März 2016