Sie hasste den Abwasch.
Das war schon immer so gewesen.
Bei schmutzigen Tellern, auf denen noch Resten von Wurst oder Eigelb klebten, wurde Louise übel.
Verkrustete Pfannen gaben ihr den Rest.
Als Kind hatte sie ihre Schwester bestochen. «Ich mache deine Rechnungsaufgaben, wenn du für mich abwäschst…»
Sie war eine gute Chemikerin. Und freute sich nach dem Studium am grosszügigen Salär bei einem der Basler Chemie-Giganten.
Jean-Claude lernte sie an einem Kongress kennen.
Der schöne Mann kam nicht aus dem intellektuellen Milieu. Man könnte fast sagen: ganz im Gegenteil. Er leitete den Gourmetteil eines Kongresszentrums. Und sein wissenschaftliches Interesse galt einzig dem Problem, wie man es vermied, die Sauce Béarnaise zur Scheidung zu bringen.
Louise hatte für ihre Firma das sechstägige Seminar «Chemie und Umwelt» gebucht.
ES WAR WIE IMMER STINKLANGWEILIG: DOZENTENPARADE. UND BLABLABLA…
Da wurde beim Schlummertrunk an der Bar das freundliche Gespräch des Gastro-Chefs über den Garpunkt einer Wachtelbrust so leicht wie ein Soufflé. Und wunderbar erholsam.
Man könnte sagen: die Chemie stimmte.
Die beiden wurden ein Paar. Allerdings machte er zur Bedingung: «Ich bin ein alter Macho, Louischen – m e i n e Frau arbeitet nicht…»
DAMIT KONNTE SIE LEBEN.
Die Intrigen im Labor gingen ihr eh auf den Keks.
Es zeigte sich bald, dass der Turbo(t)-Manager weniger die Lebensgefährtin als die Angestellte in ihr sah. Louise bügelte, kochte, putzte. Sehnsüchtig dachte sie ans Labor zurück.
Das Schlimmste: der Abwasch!
Jean-Claude wollte keine Maschinen in der Küche: «Davon halte ich nichts, Louischen – bei uns daheim haben wir den Abwasch gemeinsam gemacht. Dazu wurde ein Liedlein gesungen. Oder Mama hat ein Gedicht rezitiert…»
Louise war keine Singdrossel. Und bei Gedichten hatte sie nur die Totengräber-Ode auf der Platte. Das war nicht der Aufheller bei trüben Tassen!
«So eine Geschirrwaschmaschine kostet kein Vermögen …», beharrte sie.
«ES GEHT NICHT UMS GELD!», belehrte sie ihr Mann, «es geht um die Gemütlichkeit. Abwaschen mit dir bringt mir ein Heimgefühl, Geborgenheit…» Dem Frieden zuliebe sang sie weiterhin bei «Pril flüssig».
Als die silberne Hochzeit ins Haus stand, wollte Jean-Claude ein Fest: «Nichts Grossartiges. Schon gar nicht auswärts – nein. Gemütlich. Daheim. Mit rund 30 Gästen… i c h koche. D u wäschst ab…» SIE HATTE SICH DEN 25. HOCHZEITSTAG EIN BISSCHEN ANDERS VORGESTELLT.
Er schmetterte einen Fünf-Gänger hin. Das waren schon mal 150 Teller. Von den Gläsern, Gabeln, Messern ganz zu schweigen.
Louise hatte in der Küche seufzend einen zweiten Tisch aufgestellt. Hier konnte sie das schmutzige Geschirr stapeln.
ES WAR VIEL GESCHIRR.
Beim Café ging sie dann mit dem Cognac herum. Schenkte lächelnd ein – auch ein gut gefülltes Glas für Jean-Claude.
Er liess einen Trinkspruch los – «auf mein fleissiges Louischen!» – DANN MACHTE ER DIE SCHRAUBE. AUF IMMER UND EWIG…
«Herzversagen», konstatierte der ziemlich angeheiterte Hausarzt, der unter den Gästen weilte.
Louise wusste es besser. Das Chemiestudium war doch nicht für die Katz gewesen.
Und so ging alles in einem Abwasch …
Am Morgen nach dem Fest gab sie das Arsen mit den Essresten in den Mülleimer.
Zuerst klingelte der Bestatter. Er wollte die Urnenfrage diskutieren.
Danach klingelte der Techniker von BOSCH. Er schloss eine Geschirrwaschmaschine an.
Louise räumte summend die verkrusteten Teller ein. Und rezitierte die Totengräber-Ode.