Im Winter mit Kanonen gegen den Sommer

Illustration: Rebekka Heeb

Gut. Ich gebe mich geschlagen: SCHNEE IST ÜBERLEBENSWICHTIG! Dabei ist er un­­sympathisch nass. Und macht dir ständig kalte Füsse.

ABER DIE DORFBEWOHNER HIER IM GRÜNEN TAL JAMMERN MIR DEN PELZ VOLL: «EINE KATASTROPHE – WENN ES NICHT SCHNEIT, KÖNNEN WIR ZUSAMMENPACKEN. DER LETZTE LÖSCHT DAS LICHT…»

In der Stadt das Ladensterben – in den Alpen das Schneesterben.

OH WELT!

Für das Adelbodner Ski-Wochenende hat sich Max angemeldet. Er kommt aus jener Stadt, wo der fröhliche Franziskus das Heilige Jahr aus­gerufen hat. Und wo seither der Teufel los ist. Auf jeden Touristen kommen drei Bewacher und fünf Polizisten. Die Taschendiebe und Berufs-Papagalli schauen in den Mond. So hat jeder seine Sorgen in diesem Jammertal.

Max kommt also nicht nur aus Rom. Er kommt auch nach Adelboden. Seit der übergewichtige Alberto Tomba hier im letzten Jahrhundert den Slalom aufgemischt hat, lässt Max kein Rennen am Kuonisbergli aus.

Für unsereinen bedeutet das: «Du bist für ­frische Cornetti mit Vanillefüllung zum Frühstück und die Schneelandschaft darum herum ­zuständig…»

Das mit den Cornetti bekomme ich noch hin. Aber das mit dem Schnee ist GRANDE PROBLEMA. Seit diesen Jahren, wo sich das Klima so erwärmt wie die Liebe der FDP zur Blocher-Partei, liess uns der liebe Gott (oder sein Steigbügelhalter Petrus) bis noch vor Kurzem saisontechnisch im Regen stehen. Wo dir einst fett verschneite Tannen das weisse Pulver übermütig auf die Glatze schütteten, gaukelten liebestolle Eichhörnchen herum. Sie spielten mit ihren polierten Haselnüssen Pingpong. Und die Tannen waren grüner als die nach ebensolcher Naturfarbe benannte Polit-Partei. Auf den üppigen Wiesen gaukelten bereits übermütige Schmetterlinge herum. DIES IM JANUAR, WO SCHMETTERLINGE NUR IN GAY-BARS FLATTERN.

Auf wunderbare Weise jedoch wird über die sternklare Nacht alles weiss eingeschneit. Es ist nicht die Natur. Es ist diese Kanone, von der man als einzig Positives sagen muss: Sie ist friedlich in ihrer Art. Und wurde lediglich zum Krieg gegen die grüne Landschaft in den Kampf aufgestellt.

Die Schneekanonen sehen aus wie dünne, kleine Hartstahlgalgen, an denen der Sommer aufgehängt werden soll. Eine dieser speienden Metallgiraffen steht drohend vor meinem Haus. Es gurgelt nächtelang ganze Niagarafälle voller Wasser, um dann gemütlich draufloszuschneien. Und dies im selben Ort, wo man mir das Wunderbare der Natur und «PELZ IST DOOF» predigt. Ich will nicht stänkern. Ich wundere mich bloss.

Da meine gute Mutter vor über einem halben Jahrhundert die Idee hatte, ihr kleines Chalet auf den legendären Hügeln des Kuonisberglis erbauen zu lassen, ist vor meinem Küchenfenster also der Teufel los. Nun gut – damals gabs zwar bereits so etwas wie ein Slalomrennen am Hang. Aber die Protagonisten kurvten noch mit Stemmbögen um rohe Tannenstangen, die so krumm waren wie die Beine des Schmittenbergli-Bauern. Am Ziel ­standen der Jodelclub und zwei Trachtenfrauen. Alle speedeten sich mit Bätziwasser heiss. Und sangen neunstimmig das Lied vom «Lob dem Chüejerstand».

Der stolze Sieger des Kuonisbergli-Rennens bekam dann die älteste Ziege des Engstligen-Hofs als Preis. Und einen Kuss von einer der beiden Ehrendamen, die noch haariger war als die älteste Ziege des Engstligen-Hofs.

HEUTE?

50 000 Zuschauer. Goldmedaillen. Ein Dutzend Missen Schweizen. Und ein Fernseh­reporter, der sich kaum einkriegen kann: «DAS SIND DIE HEISSESTEN FANS UND DAS VERRÜCKTESTE RENNEN DER SAISON!» Statt des Jodelclubs schallert Tiroler-Musik ab Band. Und statt Bätziwasser: CÜPLI… CÜPLI… CÜPLI…

Um all dieses Wunderbare zu ermöglichen, kommen die Metallgiraffen ins Spiel. Und damit wären wir wieder bei den Schneekanonen, die auf wunderbare Weise, kaum dass sich die Mondsichel hinter dem Lohner bemerkbar macht, zu s­­­chiessen beginnen.

Der Schneeschuss ist leise, fast zärtlich – er wird von einem summenden Singsang begleitet, einem Singsang, der mich aber nicht einschlafen und eine Protestnote an die Verantwortlichen schicken lässt.

«MUSS DAS SEIN? ICH BIN MIT DEN NERVEN SCHON EH TOTAL EIERIG UND BRAUCHE ­MEINEN SCHLAF. ALSO STELLT DIESEN SCHNEEKRIEG AB!» Genauso wirkungslos hätte ich das Votum bei der UNO vorbringen können.

Das Organisationskomitee schickte mir ein Fläschlein Sanalepsi als Beruhigungsbasis. Sowie ein Ticket für die VERGNÜGUNGSZONE und eine Igel-Mecki-Karte: «Mit den besten Wünschen für viel Spass…»

Während vieler Nächte ratterten die Lastwagen der Armee sowie der umliegenden Transportunternehmen mit Tonnen von matschigem Schnee über meinen Privatweg. Der Schnee wurde mit eben erwähnten Stahlgiraffen im «Birk», dem dunkelsten, kältesten und traurigsten Ort dieser Naturwelt, in die Landschaft gedonnert. Die ­Kanonen glühten wie zu Napoleons Zeiten. Und als ein Heer untrainierter Armeesoldaten, ­kiffender Zivildienstler und harmloser Frei­williger dieses kostbare Weiss endlich am Hang, der die Welt und das Geld bedeutet, verteilt hatte, kam die Sonne ins Land. Und butterte lachend alles weg.

Nun ja – man kommt wohl gegen die Natur, nicht aber gegen den Menschen an: Jedenfalls war Max zum Event eingeflogen. Und zeigte ­penetrant miese Laune, weil ihn das Grünliche der Umgebung nervt. ER WOLLTE SCHNEE. Aber der war dann rarer als keusche Priester in seinem Kaff.

Immerhin mundeten ihm meine Vanille-­Gipfel. UND DAS IST DOCH SCHON ETWAS IN EINER WELT, DIE AUS ALLEN WETTERZONEN GERATEN IST. Und im Winter mit Kanonen gegen den Sommer schiesst.

Dienstag, 19. Januar 2016