Goldene Hochzeit

Karl rumpelte in der Küche herum.

Irma spürte eine tiefe Rührung in sich ­aufkommen. Karl war ganz und gar nicht der Hausmannstyp. Schon eher das Gegenteil – so ein kleiner Herumstänkerer («hatten wir Fleischvögel nicht erst letzte Woche?») und sturer Rechthaber («WIDERSPRICH MIR NICHT IMMER – was da wächst ist eine F ö h re und keine Pinie!»).

Dazu machte er konstant ihr Outfit mies: «In ­diesem Pullover bist du so unförmig wie ein ­Nilpferd, Irma!»

Irma mag Nilpferde. Und weil sie ein ­nilpferdgrosses Herz hat, überhört sie ­Taktlosigkeiten. Auch würde sie nie im Traum daran denken, ihren Göttergaten auf seinen ­Haarausfall oder und auf seine immer fetter wuchernde Knollennase aufmerksam zu machen.

KARL HATTE EBEN SEINE MÜCKEN!

Und zeigt mir diese Ehefrau, die mit einem Gatten ohne Makel gesegnet ist.

Perfekte Männer gabs nur in Schwulenbars oder im Werbespots für Partnersuche.

IRMA MACHTE SICH NICHTS VOR: KARL WAR EIN ARSCHLOCH WIE ALLE ANDERN AUCH.

Aber – wie gesagt – sie liebte ihn. Bedingungslos.

Und jetzt vernimmt sie im Bett also ein Gerumpel in der Küche. Dann das Zischen der Kaffee­maschine. Schon lässt ihr die Rührung tief im ­Nilpferdherzen einen Liter Tränen in die Augen schiessen: HEUTE IST NÄMLICH IHR BEIDER GOLDENER HOCHZEITSTAG!

Das ist weiss Gott nicht nichts. Und wie sehr Irma auch George Clooney verehrte, musste sie ­zugeben, dass der Frauenwechsel rund um seine Nespressokapseln krass ausfiel.

DA WAREN IHR 50 JAHRE KARL DOCH LIEBER – BESTÄNDIGKEIT MIT MUNDGERUCH. ABER IMMERHIN – EIN HALBES JAHRHUNDERT TREU WIE EIN ALTER DACKEL, DER NICHT MEHR MIT DEM SCHWANZ WEDELN MAG...

Als sie Karl vor vier Monaten auf das Ereignis ­aufmerksam machen wollte («Ist das nicht ­verrückt... 50 Jahre... vielleicht sollten wir eine kleine Einladung...?») da ruderte der gleich durch: «DU SPINNST – DAS IST EIN TAG WIE JEDER ANDERE. WIR POSAUNEN DOCH NICHT ÜBERALL HERUM, WIE ALT WIR SIND...!»

Und nun hatte er den Tag doch nicht vergessen!

Sie war jetzt so aufgeregt, wie damals als er sie das erste Mal zu einem Nachtessen abgeholt hatte. Sie hatte sich damals wunderschön aufgebrezelt, hatte Dauerwellen legen lassen und gar in ein Set mit schwarzen Dessous investiert.

Karl hatte sie dann mit der Vespa vor ein ­Reihenhäuschen entführt: «Hier bin ich daheim, Irma – noch bei meiner Mutti. Keine kann ­Frikadellen so gut wie sie...»

Die Dessous blieben unbeachtet. Und Irma litt an Blähungen, weil die Frikadellen reichlich mit Zwiebeln gewürzt worden waren.

Irma spürte einen Klotz im Hals, als Karl mit zwei Kaffeetassen anzitterte – er hinkte jetzt. Und litt an partiellem Parkinson.

Doch seine Augen blitzten, wie vor 50 Jahren: «Hallo Kleines – mir ist, als wäre es gestern ­gewesen, als wir im Dom von Mariastein vor dem Altar standen...»

«Es war in Frybourg, Karl...»

«WIDERSPRICH NICHT IMMER – ES W A R IN MARIASTEIN!»

Wie gesagt: ER: ein Riesenarmleuchter.

SIE: ein Herz so gross wie ein Nilpferd.

DIE GEFÜHLSWELT IST EIN RÄTSELBUCH MIT GLEICHUNGEN, DIE NIE AUFGEHEN – und die nur der liebe Gott versteht.

Montag, 18. Januar 2016