Walter mochte das Gewehr nicht.
Er war jetzt zwölf. Und sein Vater meinte, es sei höchste Zeit, zu lernen, wie man verantwortungsvoll mit Waffen umgehe… Walter mochte auch seinen Vater nicht.
Auf Weihnachten hatte er sich Schlittschuhe gewünscht. Sein Traum war der Eistanz.
Das Familienoberhaupt hatte das als «WARMDUSCHERZEUG» abgetan. Und… «wir haben genug Eistänzer auf dieser Welt. Das Leben ist hart. Man muss sich ihm stellen, Walter!»
«Er ist noch ein Kind…» , versuchte die Mutter einzulenken. «Er ist zwölf. Und somit fast schon ein Mann. Am Neujahrstag kommt er mit mir auf die Jagd!» Walter hasste Gewehre. Hasste seinen Vater. Hasste die Jagd.
Es wurde also nichts mit den Schlittschuhen. Dafür bekam er von seinem Vater eine Jagdflinte geschenkt. Die Mutter wurde blass, als dieser dem Jungen vor dem funkelnden Weihnachtsbaum die Flinte in die Hände drückte: «Das ist doch viel zu gefährlich, Willi…»
«DAS LEBEN IST GEFÄHRLICH, IRMA!», sagte der Vater. Und erklärte Walter, wie das Ding funktionierte – so wie er ihm vor sechs Jahren die Dampfmaschine erklärt hatte.
Walter hasste auch Dampfmaschinen.
Die Jagdgesellschaft traf sich früh am Morgen im Elsass. Die Jäger tätschelten Walter freundlich den Arm: «Na, freust du dich…?»
«Ja», antwortete er artig.
Die Männer griffen zu pelzigen Wildschweinfüssen, in welche silberne Becher eingeschafft worden waren: «Weidmannsheil!»
Walter bekam auch einen Schluck vom Schnaps. Er brannte ihm wie Höllenfeuer im Magen.
«Man sagt Weidmannsdank!» – meinte sein Vater zu ihm.
Sie warteten dann auf dem Hochsitz in einer Waldlichtung.
Walter durfte nicht reden. Ihm war langweilig. Eislaufen hatte Musik – hier nur tödliches Schweigen.
Der Junge merkte dann, wie ein Zittern durch seinen Vater ging – der griff zum Gewehr.
Dann sah der Bub die Wildsau mit den Jungen.
«NICHT SCHIESSEN!» – brüllte der Kleine.
Dem Vater schwoll die Halsader: «Sag mal –spinnst du eigentlich!», tobte er.
Die Wildsaumutter war mit der Familie davongejagt. SAUPECH FÜR DIE JAGDGESELLSCHAFT.
Die meisten lachten nur. Einige gaben Walter eine Kopfnuss: «Das lernst du schon noch… warte, bis du das erste Stück selbst geschossenen Wildschweinschinken reinmümmeln darfst…»
WALTER HASSTE AUCH WILDSAUSCHINKEN.
Einmal hatte der Vater aus dem Kühlauto so ein totes Tier herausgehievt. Und dieses in den Garten getragen.
«Die Wildsau muss sofort zerlegt werden. Sonst wird das Fleisch schlecht…», lehrte er den Kleinen.
Walter sah die heraushängende Leber mit den Blutflecken.
Seit jenem Tag ass er kein Fleisch.
Nach dem Zwischenfall zeigte sich kein Schwein mehr. Die Gesellschaft kehrte etwas missmutig zur Hütte zurück.
Willi blieb stumm. Er betrachtete seinen Sohn mit demselben Abscheu, wie dieser damals die blutende Wildsauleber.
Als sein Vater austreten musste und sich breitbeinig an den Waldrand stellte, knallte ein Schuss.
Die Jagdfreunde versicherten später der Polizei, es sei ein Unfall gewesen. Der Kleine habe mit der geschenkten Waffe gespielt. Und da sei sie losgegangen…
Die Gesellschaft deckte Willi mit einer Wolldecke zu. Und sprach einen Trinkspruch aus.
Der Kleine schaute mit dem verträumten Blick eines Eistänzers in die Ferne.
«Der arme Bub – er hat einen Schock», flüsterte einer der Jäger. Und reichte ihm den Wildsaufuss mit dem Schnaps im Silberbecher. Walter lächelte: «Weidmannsdank!»