Flucht

Sie hatte die Nase voll.

ABER SO WAS VON GESTRICHEN VOLL!

Den Weihnachtsstress hatte sie noch mit Bravour gemeistert: Fondue Chinoise. Gelobt sei der ­Erfinder der Rölleli.

«Es ist nicht dasselbe!», hatte Willi gemotzt, «ich habe mich ganz auf dein Weihnachtsfilet ­eingestellt, Susi…» DA WAR SIE GLEICH MAL AN DER DECKE! Was wusste dieser Penner schon vom Stress der Hausfrau. Als sie zum ersten Mal ihr Filet Wellington zur Halleluja-Tanne trug, zählte die Familie gerade mal vier Köpfe. UND JETZT SCHLEPPTE JEDER NOCH SEINE ­BEZIEHUNGSKISTE AN. Ginge ja noch.

ABER SVEN BRACHTE SEINEN GANZEN PATCHWORK-CLAN MIT.

Und Laila kam mit einem Rudel ihrer emanzipierten Freundinnen, die sie jedes Mal mitleidig ­anlächelten: «Diese Plackerei, Susi! Es ist nicht richtig, dass alle Hausarbeiten auf den Schultern der Frauen lasten…» Sagten es.

Hielten auf dem Clubtisch die Füsse hoch.

Und diskutierten über Frauenquoten.

Die Grosskinder, die gar nicht ihre leiblichen Enkel, sondern irgendwelche Patchwork-Bälger waren, müffelten über die rosigen Fleischröllchen: «Hats keinen Tofu? Wir essen nichts, was die ­Menschen umgebracht haben…»

Sie briet ihnen drei Pfannkuchen und hoffte, die Kleinen würden den Dotter nicht unter ­«Mordopfer» einstufen.

Susi war dann ins Esszimmer zurückgekommen. Und musste sehen, wie Willi seine haarige Pranke auf die Knie einer dieser Patchwork-Weiber legte.

DANN WAR ABER STUMMFILM!

Gewissenhaft hatte sie noch den Tisch abgeräumt. Die Geschirrwaschmaschine angeworfen. Und auf der Coach übernachtet.

«Ich hatte ein Gläslein zu viel, Susi!» – entschuldigte sich Willi am Morgen.

DA HATTE SIE DEN KOFFER BEREITS GEPACKT. Und fuhr dem Jahresende entgegen.

Die Sicht war mies – Susi rieb die Tränen weg: «ICH BIN EINE DUMME KUH – ICH HABE SIE ZU FEST VERWÖHNT. ABER JETZT IST FERTIG ­LUSTIG… ENDGÜLTIG!» – das war der gute ­Vorsatz fürs neue Jahr.

In Interlaken buchte sie sich eine Suite. Und das volle Wellness-Paket. Gottlob hatte ihr Tante Huberta einen netten Obolus hinterlassen.

Als sie mit der Gurkenmaske flach lag, überfiel sie ein schlechtes Gewissen: EINFACH SO NICHTS TUN!

Sie musste an das immer wiederkehrende Credo ihrer Mutter denken: «ERST DIE ARBEIT, DANN DAS VERGNÜGEN!»

Die Kosmetikerin schleimte ein nettes ­Kompliment: «Sie haben Potenzial… aus Ihnen könnte man etwas machen!»

Wunderbar – aber für die Filmkarriere wars jetzt zu spät.

Beim Nachtessen sah sie immer wieder verstohlen in die Wandspiegel des Speisesaals: War diese ­elegante Person dort wirklich sie selber – Susi Huber?

Ein Gast prostete ihr vom Nebentisch zu. Sie lächelte zurück. Den Espresso nahmen sie gemeinsam an der Bar.

Massimo, ein heisser Italiener aus Lecce, machte Susi den Hof. Er umwarb sie die folgenden Tage mit kleinen Aufmerksamkeiten. Und erzählte ihr von seinen Weinkellereien in Apulien.

Als er Susi beim Aperitif mit einem Gucci-Armband überraschte, knurrte ihr Handy. Willi war dran: «Ach Pummelchen – wie lange willst du noch ­müffeln? Hier läuft alles aus dem Ruder. Morgen ist Silvester… die Jungen kommen alle…»

«Das Leben ruft», lächelte Susi alias Pummelchen glücklich zu Massimo. Und nahm das Armband. DAS IMMERHIN.

Zu Hause war die Waschmaschine noch immer voll mit dem Weihnachtsgeschirr.

Sie ging summend daran, alles auszuräumen.

NEUJAHRSVORSÄTZE SIND SCHÖN.

ABER DAS LEBEN IST IMMER STÄRKER…

Montag, 28. Dezember 2015