Lenchen war klein. Aber das Mädchen hatte einen Kopf, der war grösser als ein Hobelkäse: «E Wassergring», spotteten die Bauern «u de nät ganz 100!» Sie redeten vom «armen Lenchen». Und machten einen grossen Bogen um das Kind.
Im Sommer sass die Kleine mit einer fleckigen Stoffpuppe vor dem Haus. Und drückte Änneli an sich.
Im Winter spielte es im dunklen, kleinen Bauernstübchen. Und war allen im Wege.
Lenchen war meine Freundin. Ich – damals sechs oder sieben – hatte ihr viel zu erzählen. Lenchen war eine wunderbare Zuhörerin. Sie schaute dabei stets etwas abwesend in die Ferne. Und lächelte.
Geantwortet hat Lenchen nur selten. Aber immer wieder schaukelte es den grossen Wasserkopf hin und her: «E jaa… e jaa…»
Auf Weihnachten hatte ich mir eine Puppe gewünscht. Sie musste so aussehen wie diese, die man an Messe-Schiessbuden als Preise sah: Zelluloidkopf… rabenschwarze Kunststofflocken… ein weiter Rock aus Tüll.
Na ja, ein bisschen Carmen eben.
Mein Vater winkte ab: «Wünsche dir etwas Anständiges… einen Fussball… ein paar Ski …das Christkind bringt Buben keine Puppen…»
JAMMERTAL!
Das war total ungerecht. Aber wie hätte ich mit dem Christkind über so eine Diskriminierung reden können, wo es doch nie da war.
All diese Sorgen erzählte ich Lenchen.
Zum ersten Mal schaute es mich interessiert an: «Das Christkind besucht in der Heiligen Nacht die Tiere im Stall… Es will wissen, ob die Bauern gut zu den Kühen waren. Da kannst du mit ihm reden…»
Der Heilige Abend war eisig kalt. Im Chalet herrschte die gewohnte Hektik vor dem Familienfest. Ich stand allen im Weg. Und konnte mich problemlos wegschleichen…
Im Stall war es wohlig warm. Draussen hatte es zu schneien begonnen.
«Was wünschst d u dir vom Christkind?» – fragte ich Lenchen.
Es schwieg. Dann: «S Müeti soll my gäre haa…»
Ich war schockiert: «Alle Mütter lieben ihre Kinder. Du musst dir etwas Besseres ausdenken – eine neue Puppe vielleicht?»
Nun blickte mir Lenchen direkt in die Augen: «Z Änneli isch s liebscht, wo-n-yg haa…»
Draussen war es jetzt Nacht. Wir warteten. Aber das Christkind zeigte sich nicht.
Um die Zeit totzuschlagen, sang ich Weihnachtslieder. Und wurde plötzlich bleiern müde.
Lenchen schlief schon seit einer Stunde.
Es war ein heller Lichtstrahl, der uns aus dem Schlaf weckte.
«S Christkind!» – schrie ich aufgeregt zu meiner kleinen Freundin.
Aber es waren Lysette und meine Eltern, die uns seit Stunden suchten.
Lenchens Mutter drückte ihr Töchterchen in die Arme – Tränen kullerten auf den grossen Kopf des Kindes. Sie wiegte die Kleine hin und her. «Das darfst du nie wieder tun… einfach weggehen… ich hatte so grosse Angst um dich… ich habe dich doch lieb…»
Da sah ich zum ersten Mal ein frohes, glückliches Leuchten in Lenchens Augen.
Auch mein Vater schnäuzte sich. Und gab mir eine Kopfnuss. «Was ist auch über dich gekommen … an einem Heiligen Abend auszubüxen…»
«Ich wollte mit dem Christkind reden… wegen der Puppe», sagte ich.
Da schnäuzte sich Vater wieder: «Du hast ja bald Geburtstag…»
Lenchen aber nahm meine Hand. Und drückte mir Änneli in die Arme. «Da. Ich brauche sie jetzt nicht mehr…»
Drei Jahre später ist Lenchen gestorben.
Änneli habe ich noch heute.
Sie hockt auf meinem Büchergestell. Und hat euch diese Weihnachtsgeschichte erzählt…