Von Marzipandatteln und Liesel am Telefon…

Illustration: Rebekka Heeb

«BITTE KEINE GÄSTE!» ­Innocent gab sich sehr dezidiert. Es ist das Fest des ­Friedens. Und der Besinnung.

OHGOTTOHGOTT. Das kann ja ein fröhliches Fest werden: zwei alte Knacker alleine am Arsch der Welt. Drei Lampengirlanden in einem Olivenbaum. Und als Höchste aller ­F­reuden: drei Voltaren-Zäpfli und vier Gläslein Grappa. NICHT MIT MIR!

Innocent machte dann eine Einschränkung. «Allerhöchstens Lieselchen und ihr Graf…» ­LIESEL! DIESER HEXENBESEN AN MEINER WEIHNACHTSFEIER?! Eher nehme ich die ­Fahrkarte zum Mond.

Letztes Jahr, als Liesel bei uns auf der Insel einrollte, hatten der Gärtner wie auch meine Haushilfe Lida sämtliche Zimmer mit Knoblauch vermint. Die naiven Inselbewohner glauben noch an die Wirkung der stinkenden Knolle gegen das Böse. ABER DAS BÖSE WAR STÄRKER ALS DER KNOBLAUCH! Liesel kam. Sah. Und kriegte.

Seit Jahren schon macht mich die Dreckschleuder aus dem Marillental bei Innocent mies. Ich überhöre es vornehm. ER NICHT. «S Buaberl isch arg faiss worden…» – so stichelt sie bei unserm gutmütigen Freund. Und der sah mich zum ersten Mal nicht mit diesen Augen der Güte und Milde an – liebe Augen, die fast wie Weihnachten sind. Nein. Er schaute jetzt , als hätte ihm ein Hund vor die Türe geschissen: «Du hast recht, Liebes – er quillt aus der Hose!»

Dann ging er voll auf Konfrontation: «DIESES JAHR GIBT ES KEIN DATTELKONFEKT! UND SCHON GAR KEINEN MARZIPAN IN DEN ­DATTELN!»

Da können wir ja den Heiligen Abend gleich bei Pfarrer Kneipp feiern! Was ist ein Fest ohne Dattelbrötchen von Elsebeth. Und «Stille Nacht» ohne Marzipan?

Ich wurde noch vor der Geschenkübergabe auf Diät gesetzt, während die beiden Turteltauben einander mit den Grappaflaschen zuprosteten.

Graf Hubert, der Angetraute des österreichischen Grauens, hockte leicht depressiv im Ohrenfauteuil. Sein Stammbaum geht bis ins 13. Jahrhundert zurück – und sein Geist ist in jenem Jahrhundert kleben geblieben. Als Mann ist er reizend. Aber als Verbündeter gegen seine Gräfin eine glatte Null. Wenn ich ihn auf seinen aggressiven Runzelmops scharfmache und nur so nebenbei bemerke, wie schön die Welt für ihn als Witwer wäre, winkt er seufzend ab: «Jo, dös waiss-y. Ober zescht muess s Liserl ins Gros baissen!»

Es ist ähnlich wie bei gewissen Diktatoren auf dieser Welt: Jeder weiss, was zu tun wäre. ABER KEINER HOLT DAS STRYCHNIN.

Im Übrigen war der Herr Graf muff, dass er wie Napoleon auf die einsame Insel verbannt wurde. Er hätte lieber daheim mit seinen Zinnsoldaten gespielt. Ich habe das später mit einem befreundeten Mediziner, der sich mit einer Arbeit über die Dekadenz alter Geschlechter einen Ruf erworben hat, erörtert.

Der Professor runzelte die Stirn: «Hat der Graf ein fliegendes Kinn …? Ich meine: Hat er eigentlich gar kein Kinn, sondern ist es vielmehr so, dass sich sein Gesicht von der Unterlippe her nach ­hinten zurückzieht?»

SO IST ES.

«Aha», sagte der Arzt, «aha!»

ALSO – EINEN ÄHNLICHEN WEIHNACHTS­SHIT WOLLTE ICH NICHT MEHR ERLEBEN.

DESHALB: «Wenn du keine Gäste willst, ist das für mich o.k. Aber der österreichische Halbadel kommt mir nicht in die Hütte. Und wenn – dann nur, wenn wir das abgewelkte Salzburger Busen-Nockerl auf der Jagd zum Abschuss freigeben.» «Du bist ein Miststück…», seufzte Innocent. ABER IMMERHIN: DIE KARTEN SIND NACH DEM ­DRITTEN ADVENT KLAR VERTEILT! Und 125 Kilo Datteln warten darauf, entsteint zu werden.

Vor vier Tagen nun hat Hubert angerufen: «Machts widar a Palmenboimerl…?» ALARM. ALARM. Wenn Tante Finni uns jeweils ähnlich anmachte («Macht ihr dieses Jahr einen Baum?»), war sie mit einem Bein bereits in der Stube. Also wehre ich entsetzt ab: «Ach nein – wir machen gar nichts. Die Palmen sind lichterlos. Gianni hat beim Schlittschuhlaufen das Bein gebrochen. Und Lida bekommt ein Kind…»

Pause.

Dann höre ich die schrille Stimme von Liesel: «Wo kann das Gärner-Monnsbild auf der Insel Schlittschuh laufen? Und die Momsell is ja über 60 – da bikummsch kaa Kind mehr net!» Ich habe dann «hallo… hallo» ins Handy gesagt. Rein­geblasen. Und: «Es stürmt ganz wild … Ich habe keinen Empfang mehr… hallohallo!» Schliesslich: AUS-Knopf. Und Ruhe. SELIGE RUHE!

Zwei Minuten später schellt es auf dem Festnetz-Telefon. Dieses Mal ist Liesel am Hörer: «Lügenbaron! – Y hob d Wetterkorten gschaut: Ihr hobts windstill und sternenkloar!»

DUMME KUH! Innocent nimmt mir das Telefon aus den Händen. Und ich weiss natürlich, was kommt. Ich kenne meinen Freund ja auch schon seit dem 13. Jahrhundert. «HALLO LIESELCHEN!» ­Blablabla. Und sülzsülzsülz.

Plötzlich aber beginnt Innocent zu keuchen. Er hustet, dass die Weingläser tanzen. Dann schneuzt er sich, sodass es tönt wie das Trompetenkonzert von Telemann. Erschreckt jage ich vom Fauteuil hoch. Ich schleppe die Blutdrucktabletten und Asthmapillen an. Doch was muss ich hören? «…schreckliche Grippe … ja, ja, liege darnieder… hohes Fieber… sehr gefährlich … UND SO AN­­STECKEND … hallo Lieselchen, bist du noch da?»

Er hängt den Hörer auf. Und grinst mir zu­­frieden zu: «So macht man das, mein Lieber, das ist moderne Kriegsführung. Nicht schlittschuhlaufende Gärtner und Grossmütter, die Babys bekommen.» Dann tätschelte er meine Hand: «Ran an die Datteln … und spare nicht mit dem Marzipan.» Da hatte er wieder diese gütigen, ­milden Augen, die fast wie Weihnachten sind…

Hier ist ein Quotes für ein Interview oder bei einem Leitartikel, der vier Zeilen lang ist.

Dienstag, 15. Dezember 2015