Klausentag

«Eine gute Wahl!» – nickte die Verkäuferin ­anerkennend.

«Man gönnt sich ja sonst nichts», seufzte Fanny.

«Dir hats doch ins Gehirn geschissen!» – tobte die Mutter. Dies allerdings auf Wolke 13. Trotzdem – Fanny konnte den Zornausbruch ­deutlich hören.

Die Verkäuferin steckte das Objekt in ein ­flauschiges Schutztuch: «Ein Geschenk?»

«Nur für mich», winkte Fanny ab. Und schalt sich insgeheim eine dumme Kuh: «DA GEHT EBEN DEIN GANZER 13. MONATSLOHN DAHIN. ­GRATULIERE!»

So.

Sie hatte sich immer so einen Label-Anhänger gewünscht. Es war weniger die Form – vielmehr: der Status. Die meisten hatten eine. Und Fanny wollte da nicht nachstehen. Sie wollte: D A Z U GEHÖREN – EIN MEMBER DER WELTWEITEN TASCHENCLIQUE SEIN.

Sie nahm das Paket.

Es donnerte. Ein klares Zeichen von Wolke 13.

Fanny überfiel ein schlechtes Gewissen: Die ­Mutter war als Flüchtlingsfrau aus Georgien ­hierher gekommen. Nur ein Bündel im Arm – das war Fanny gewesen.

Sie hatte sich als Putzfrau durchgeschlagen. ­Einfach war ihr Leben nicht gewesen. Aber sie tat alles für Fanny. Und die Tochter machte ihr Freude: gute Noten. Guter Lehrabschluss. Gute Stelle.

Es ging den beiden im fremden Land gut – aber die Mutter blieb sparsam. Kehrte jeden Rappen drei Mal um. Gönnte sich nichts. Und musste viel zu früh von dieser Welt – der Tumor war stärker.

Fanny blieb alleine.

Sie hatte keinen Freund. Klaus Kurz, der ­Buchhalter, machte ihr wohl sensibel den Hof. Etwas zu sensibel. Klaus Kurz war nämlich schüchtern. Er kam nicht zur Sache. Und Fanny ging jetzt gegen 40.

«Manchmal geht er mir nach und denkt, ich merke es nicht» – so hatte sie Klaus ihrer Freundin geschildert.

«Ein Weichei» – urteilte die.

Es war kein schneeflockiger Klausentag. Nein. Draussen kübelte es wie im April.

Fanny jagte mit ihrer Tasche in den Supercenter. Sie füllte den Korb: Grättimänner… gekochter Schinken… Essiggurken (sie liebte Essiggurken).

Als sie tropfnass in ihrer Küche stand, merkte sie: das Paket mit der Traumtasche fehlte.

Fanny schrie auf. Jagte ins Einkaufscenter zurück.

ALLES UMSONST. TASCHE WEG.

Und tosender Wolkenbruch – es schien, als würde Wolke 13 rufen: «Ich habs ja immer gesagt!»

Wieder daheim heulte Fanny in grausamer ­Selbsterkenntnis: Das ist die Strafe für Dummheit und Hochmut!

Draussen hörte sie die ersten Kläuse bimmeln. Dann bimmelte es auch bei ihr.

Als Fanny mit roten Augen öffnete, stand ein roter Klaus mit weissem Rauschebart im Hausgang: «Bist du auch brav gewesen?!»

Sie wollte wütend die Türe zuschmettern, als der Klaus ein Paket aus dem Jutesack zog: i h r Paket.

«Ich bin Ihnen nachgegangen», flüsterte nun der Rauschebart. «Sie haben das beim Einpacken ­liegen gelassen ...»

Da erkannte sie den Klaus: i h r e n Klaus.

Sie heulte jetzt noch mehr als hundert ­Wolkenbrüche. Und der Klaus nahm stotternd ihre Hand: «…ähh …ähemm… vielleicht darf der Klaus dich mal zum Nachtessen einladen und…»

Es stellte sich heraus, dass er bei seinem kleinen Neffen den Niggi-Näggi spielen musste: «Aber danach?»

«Die Beizen sind übervoll – ich hätte Salzgurken und Grättimänner», strahlte Fanny.

Das Gewitter hatte sich verzogen.

Ein Regenbogen zeigte sich am Himmel.

Und : «…hatte doch sein Gutes», brummte es auf Wolke 13.

Montag, 7. Dezember 2015