Fleischeslust

«Hansi – ESSEN FERTIG!»

Hans hangelte nach seinen Finken.

Er stemmte sich aus dem Fernsehsessel hoch. Und rieb in Vorfreude die Hände: Das Abendessen war ihm das Liebste!

Sein Arzt hatte allerdings die alte Leier vom ­«Kaiser am Frühstück» und «Bettler beim ­Abendmahl» gesungen: «Nach 18.00 nur ein Joghurt. Oder ein Stück Brot mit Milch, Herr ­Tobler. Beim Frühstück aber dürfen Sie in die Vollen greifen ...»

Hans Tobler war nie ein Frühstücker gewesen: eine Tasse Kaffee. Eine Zigarette. Fertig.

ER ZOG ES VOR, EIN KAISER AM ABEND ZU SEIN!

Irmchen hielt ihn da mit ihren Leckereien bei Laune. Sie war eine prima Köchin. Und das war auch einer der Gründe gewesen, weshalb er sie vor 55 Jahren zum Altar geschleppt hatte.

«AUFLAUF» – strahlte Irma jetzt.

Eine feuerfeste Glasschale dampfte auf dem Tisch. Doch als der Nebel sich legte:

«JA ZUM TEUFEL – WAS IST DENN D A S ?!»

«Tofu mit Spinat – und alles in Sojamilch».

«BITTE WAS?»

Hans drehte die Ohrenverstärker rein. Und setzte die Brille auf. «Das sieht ja aus wie gekotzt – Tschuldigung, Irma!».

Die Gattin baute sich vor ihrem Mann auf : «Hans Tobler – ab heute ist Schluss mit der Völlerei. Wurst steht auf der roten Liste. UND ROTES FLEISCH AUCH.»

Sie schaute ihn tadelnd an. «Hast du die letzte Gesundheitssendung nicht verfolgt?»

«GESUNDHEITSSENDUNG?»

Hans war da eher der «Samschtig-Jass»-Typ.

«Ja», dozierte nun Irma. «Wurst ist des Teufels. Und alle Fleischeslust eine Sünde. ­KREBSERREGEND. Das sagt nicht nur die Bibel, sondern auch eine Studie der WHO...»

«Du mit deinen Studien», jaulte Hans auf. (Eine solche Studie hatte ihm schon vor der goldenen Hochzeit das Rauchen abgewürgt – die Studie. Und die gelben Vorhänge.)

«Es ist erwiesen, dass 150 Gramm Wurst oder rohes Fleisch bei einem von 3500 Essern Krebs erregen kann...»

«Aha», meinte Hans trocken. «Und was ist bei ü b e r 150 Gramm Wurst ...»

«Das ist irrelevant», knurrte Irma. «Ich hab mich jedenfalls entschlossen, nur noch gesund zu kochen ...», sie nahm die Hand von Hans: «SCHLIESSLICH MÖCHTE ICH , DASS MEIN HANSIMANN GESUND INS ALTER KOMMT...»

Er zückte genervt die Pfote weg. «IRMCHEN – wir gehen beide satt gegen 90. Und Tante Selma: Die hat sich doch n u r von Bier und Eisbein ernährt. Sie wurde 102. HUNDERTZWEI!»

«Eben» – meinte Irma, «vermutlich wäre sie älter geworden, wenn nicht der Fleischeskrebs ...»

Hans schüttelte den Kopf: «Nein. Sie hüpfte vom Balkon. Kerngesund. Aber im Herzen ­gebrochen. Der Pöstler hatte sie mit ihrer Nachbarin betrogen – die ass übrigens auch Fleisch. Und war 96!»

«Hans. Das ist nicht witzig!»

Er stocherte im grünen Brei herum: «DU ­HÄTTEST ZUMINDEST EIN SPIEGELEI ­DRAUFBRATEN KÖNNEN!»

«Eier nähren unsere Hepatitis-Zellen, Hans!»

«JA SCHEISSDOCHDIEWANDAN! – HABE ICH DICH FÜR SO ETWAS GEHEIRATET?»

Er verliess tosend die Wohnung.

Sie traf ihn im «Hopfenkranz» vor Röschti mit Bratwurst.

Irma setzte sich stumm zu ihm.

Dann: «Ich habs nur gut gemeint, Hansi!»

Er streckte ihr die Gabel mit einem Schnippel von der Bratwurst hin: «Fleischeslust?»

Irma schnappte zu. Und grinste: «Ich nehme Röschti und Speck ...»

100 000 Glückshormone durchflossen die beiden.

Allerdings – über Glückshormone bei Röschti und Speck wurde bis anhin noch keine Studie geschrieben.

Montag, 30. November 2015