Von Gasbomben in Rom und Klopfzeichen als SMS

Illustration: Rebekka Heeb

Als der Mann die Bombe in meinem Schlafzimmer sah, begann er zu hyperventilieren. Dann lief er grünlich an: «JA SIND SIE NOCH ZU ­RETTEN?! TOTAL DURCH­GESTARTET, WAS?! Raus hier – bevor alles in die Luft geht!» Dies alles in sizilianischem Schnellschussdialekt.

Und: MEIN GOTT, DIESES AFFENTHEATER WEGEN EINES LAUSIGEN BÖMBCHENS!

Ich lebe seit über 30 Jahren mit Bomben in Rom. Ja, man kann ruhig sagen: Es ist meine ­bombigste Zeit.

Die meisten leben hier bombastisch. Auch wenns verboten ist. O.k., hin und wieder jagts einen Häuserblock zum Himmel. BAGATELLE!

Meistens kommt kaum jemand zu Schaden. Der Gasgeruch lässt alle vorher Reissaus nehmen.UND: WIE SOLLEN WIR OHNE GASBOMBEN HIER DIE EIER HEISS BEKOMMEN!

Als ich meine Einzimmerwohnung beim Campo de’ Fiori bezog – nun ja: Wohnung ist ein etwas affektiertes Wort für das Loch von damals, als wir noch als Dreiparteien-Etagengemeinschaft ein Plumpsklo und einen Waschtrog teilten – als ich also vor 30 Jahren in die Via dei Cappellari einzog, wars im Haus zappenduster: kein Elektrisch. Grund: Meine Vorbesitzerin Mariagrazia hatte seit zwei Jahren keine Stromrechnung mehr bezahlt. Kein Gas. Grund: Mariagrazia ass jeden Tag nur Tomaten mit Brot und Olivenöl. Sie behauptete stets, nur deshalb sei sie mit 102 Jahren so zackig im Schuss. (Mariagrazia starb dann mit 104, als sie sich beim Taubenfüttern etwas zu stark aus dem schmalen Fenster des obersten Stockwerks lehnte und Gott sie zu sich in den Himmel berief – eine Berufung, die allerdings zuerst einmal jäh abwärts führte.)

Das Übelste vom Üblen: Mariagrazias ­Wohnung hatte kein Wasser – UND DAS WAR DIE ZEIT VOR DEN FEUCHTTÜCHLEIN. Aber hallo! Jetzt war mir auch klar, weshalb mir die Erben Mariagrazias das Loch für den läppischen Betrag von 500 Tafeln Cailler-Nuss überlassen hatten.

Man kann über Innocent nun behaupten, was man will – ABER IN SOLCHEN FÄLLEN IST ER GOLD WERT.

Sein Intellekt liegt in den Fingern und sein Nutzen im Elektrobohrer. Je mehr ich vor der alten Ruine ins Heulen kam, um so mehr blühte Innocent auf: «JETZT KRIEG DICH WIEDER EIN – ICH MAUSCHLE DIR DAS GANZ TOLL HIN. WO HATS HIER EINEN HAND­WERKERLADEN?!»

Gottlob war der gleich um die Ecke. Und ich hätte Innocent auch ins Paradies führen können. Er hatte sofort feuchte Augen. Begann in Schrauben und Muttern zu wühlen. Und wischte sich ergriffen Dreck und Rotz aus dem Schnurrbart: «Dass es so etwas noch gibt… 134 Schrauben­grössen. Und Handbohrer mit richtigem Holzgriff… JA WAS SAGST DU DA?!»

Ich sagte gar nichts. In solchen Glücksmomenten, wo Herr Innocent einen Schraubenladen entdeckt, muss man ihn zu sich selber finden lassen – ähnlich wie Grossmutter Alda bei ihrem Gebet zu IHM. UMS HIMMELS WILLEN NICHT STÖREN!

So kam es, dass mein herzensguter Freund mit Tonnen von Material heimkam. Leitungen legte. Röhren schleppte. Und die Wände bis ins Schlafzimmer der Nachbarin durchbrach.

250 verschiedene Dübel wurden gedübelt.Dann allerdings: «Wir haben nicht genug Kapazität für einen Elektroofen – aber Gas tut es auch!» BOMBENIDEE. UND DAS WAR DANN AUCH DER ANFANG MEINER GASFLASCHENZEIT.

Nun gut. Gasherde waren mir vertraut. Nur die Bomben nicht. Im Haus, in dem ich mir die ersten zehn Jahre meiner Kinderzeit Frostbeulen geholt habe, weil es nur einen Holzofen gab, der so rauchte, dass meine Mutter sich weigerte, ihn einzuheizen («Ich will doch nicht als Rauchwurst im Quartier rumlaufen!») – also: In unserer Küche stand ein riesiger Gasherd.

Früh morgens schon öffnete mein Vater den Backofen und stellte die violetten Flämmlein auf Volldampf. Dann liess er auf allen vier Kochstellen das Feuer züngeln – bald schon war die Küche von einer seltsamen Wärme durchzogen, die einen noch seltsameren Geschmack produzierte. Ein Chemiker hat mir einmal den Grund dieses zarten Süssgeruchs, der brennendes Gas auszuströmen pflegt, zu erklären versucht. Aber ich war derart verliebt in ihn, dass all das Gescheite in einem Ohr rein- und im andern rausging – DESHALB: KEINE WISSENSCHAFTLICHE DETAILSCHILDERUNG! Issjaauchegal!

Ich wollte eigentlich nur sagen, dass mir ­Gasherde schon vor der Römerzeit vertraut waren. NUR – das Gas kam per Leitung ins Haus. Diese Leitungen zogen sich durch die Küchen in alle Stockwerke. Und wenn einer an den Rohren ein Klopfen vernahm – etwa: dreimal kurz und zweimal lang, so wusste jeder: Hermine Gygax im «Zweiten» klopft an, ob jemand ihr eine Tasse Zucker ausleihen könnte … Das Gasleitungsklopfen war das SMS der damaligen Zeit, sozusagen.

NATÜRLICH KURSIERTEN AUCH GANZ SCHRECKLICHE GESCHICHTEN UM DIESE HERDE.

Frauen sollen die Beine in die Bratröhre gesteckt haben, um auf diese unbequeme Art eine unwillkommene Schwangerschaft zu unter­brechen. Und mindestens einmal pro Jahr ist die Kembserweg-Omi mit aufgeregtem Schnauben und Nasenreiben aufgekreuzt: «Bei uns hat ­wieder eine den Kopf in den Backofen gesteckt …» Suizid per tote Flamme war ein beliebter Freitod. Und schon zu jener Zeit haben die Feuerwehrmänner geschrien: «Sofort alle Fenster auf! – Und keine brennenden Rösslistumpen, verdammi!»

NUN ALSO ROM.

DIE EU VERBIETET MIR DIE FLASCHE!

Dabei ist diese sehr dezent in einen Mauerschrank meines Schlafzimmers eingebaut. Man dreht am Sicherheitshahnen. Und das Gas schwebt lautlos durch eine Kupferröhre in die Küche zu meiner Feuerstelle.

«SIE MÜSSEN SICH HALT MIT ELEKTRISCH BEGNÜGEN!», tobt nun der EU-Security-Beamte aus Sizilien. DER HAT GUT REDEN: WENN ICH IN MEINER WOHNUNG DEN FÖHN ­EINSCHALTE, BEGINNT DER FERNSEHER ZU FLIMMERN.

Und Staubsaugen können wir nur, wenn wir dies mit der oberen Wohnung abgesprochen haben. «Das ist nicht mein Problem – Gasbomben sind auf jeden Fall nicht mehr erlaubt, lieber Mann!» Ich werde, wie die gute Mariagrazia, in meinen alten Tagen auf Tomaten, Brot und ­Olivenöl umstellen müssen…

Dienstag, 24. November 2015