Von der roten Porsche-Omi und Gutmenschen

Illustration: Rebekka Heeb

Es gibt Gäste, die sind unkompliziert. Das geht so: Sie legen die Geschenke hin. Entschuldigen sich für die versaute Bettwäsche. Und dampfen wieder ab. PROBLEMLOS.

Und dann gibt es solche wie Katzen-Örsi. Wenn ich beispielshalber Innocent informiere: «KATZEN-ÖRSI KOMMT!», dann greift der sich keuchend an die Pumpe. Verdreht die Augen. Hängt die Zunge raus. Und wirft eine Kurpackung Gemütsaufheller ein. Seine Lippen stöhnen monoton: «ALLES, NUR DAS NICHT … ALLES, NUR DAS NICHT!» Da ­Katzen-Örsi und ich zusammen im Vorstand des Helfervereins «Die rosigen Tatzen» ­sitzen, kann ich aber nicht so sein. NEIN SAGEN GILT NICHT.

Obwohl auch ich mich nur mit ganz starken Dosen der Klosterfrau Melissengeist während ihres Besuchs über Wasser halte. Also sülze ich per Kabel in die Schweiz: «Es ist alles o.k. – komm nur, Örsilein. Die Miezen warten schon auf dich …» DAS MIT DEN MIEZEN IST ER­­STUNKEN UND ERLOGEN. DIE WARTEN GAR NICHT.

Denn die armen Katzen werden vom Jagd­dackel unseres Nachbars (er heisst Aldo II. – der Hund, nicht der Nachbar) gejagt. Und so hundsmässig zur Sau gemacht.

Innocent ist glücklich über Aldo II. Seit dieser ­bellend die Katzen vertreibt, herrscht rund um unsere Hütte einsamer Frieden. Keine Katzenhaare auf den Fauteuilkissen. Keine angebissenen piepsenden Mäuse im Badezimmer. Und keine fiependen Miezen-Babys im Waschkorb.

NEIN.

ALDO II. HAT UNS KATZENFREI GEMACHT. UND NATÜRLICH HABEN WIR SO ETWAS DER MIEZEN-ÖRSI NIE ERZÄHLT. DIE ALTE HÄTTE UNS DOCH AUF DER STELLE ENTERBT. UND IHREN TOMATENROTEN PORSCHE (DEN WIR HEIMLICH «OMIS ZUHÄLTER­SCHLITTEN» ­NENNEN) DEN SPANISCHEN ­HUNDEWAISEN VON GIGI OERI VERMACHT.

Miezen-Örsi erwartet hier das Katzenparadies der Toskana. UND WAS SOLL ICH DA MIT DREI VERGAMMELTEN IGELN UND FÜNF EIDECHSEN, DENEN DER SCHWANZ ABGEBISSEN INS LEERE STEHT?

Ich werfe diesem bellenden Nachbars­köter Hackfleischbällchen mit Valiumfüllung zu. Nach der sechsten Portion gibt er den Löffel ab. Und verpennt sogar die Entenjagd. Dann schlachte ich drei Ochsen. Hacke sie in unserer Moulinette zu «Hammihammi». Und verteile das Fleisch rund um den Garten.

NICHTS PASSIERT. DENN KATZEN WÜRDEN WHISKAS KAUFEN. Ich ziehe durch die Gegend. Zirpe, säusle, flöte: «… wo isse denn … wo, wo, wo? Liiiebes Mauzzi … Mauzzi.»

SO MACHE ICH MICH WEGEN KATZEN ZUM AFFEN. Und alles nur, weil morgen Miezen-Örsi in ihrer Mafia-Büchse aufkreuzen wird.

Örsi ist das, was heutzutage unter «GUTMENSCH» läuft. Doch wie gesagt: Sie läuft nicht. Sie brettert mit 180 Eiern durch die Innenstadt und hält grosse Reden darüber, wie man das Kyoto-Abkommen und die Umwelt verbessern könnte. Sie redet sich am Steuer dabei derart in Rage, dass alte Rollatoren-Frauen am Strassenrand wie Ping-Pong-Bällchen wegspicken. Mit­unter knallt auch ein Hände verwerfender Polizist ans rote Blech. Aber da es keine Katzen sind, spielt dies keine Rolle.

Das mit den Tieren ist so eine Macke von Örsi. Nun – es gibt Weiber, die schnupfen Kokain. Die andern sammeln schwarze Vuitton-Taschen. Und die dritten treibens mit ihrem Kundenberater in und auf der Bank. NICHT SO ÖRSI.

Sie fährt total auf MIEZEN ab. Und ich bin noch immer der Meinung, sie wäre mit einem Kundenberater besser bedient. Da ich bei IHM oben immer noch ein paar Gutstriche auf dem Konto habe (ganz einfach, weil ich Innocent ­morgens den Kaffee ans Bett gebracht habe, obwohl es ja mein Geburtstag war!), weil ER mich also mit göttlichem Goodwill betrachtet, gehe ich auf die Knie. Und rufe ihn an: «Lass alle Katzen zu mir kommen!»

Natürlich ist es dann die ­Miezen-Örsi, die anbrettert. Sie knallt eine 150-Gramm-­Tüte mit leicht angeschmolzenen Whisky-Schokoladen-Stängeln hin. Dazu eine Dreiergarnitur Zahnstocher, die sie in der Agip-Autobahnraststätte mitlaufen liess. Und die TagesWoche. «WO SIND DIE LIEBEN KLEINEN?!», jubelt sie und will mit einem jugendlichen Hopser aus ihrem roten Niedersarg steigen. Aber wir alle ­wissen, dass tiefe Autos für Frauen, die bereits zwei Jahrzehnte lang die AHV ziehen, ein hohes Risiko bergen und das falsche Sitzwerk sind.

Jedenfalls hätte unser Nachbar, der lustige Jäger Augustus, den Vogel auch nicht besser treffen können – «HEXENSCHUSS!», jault Örsi auf.

Und Innocent lallt in seinem Valiumrausch: «Selten triffts der Name besser …» Wir tragen das alte Katzen-Mutti also an allen vier Haxen auf den Liegestuhl. Tränen laufen ihr über die frisch ge­­puderten Wangen und hinterlassen tiefe Furchen, als ob Gianni hier Bohnen setzen wollte …

Und endlich – als sie nach dem fünften Glas Rotwein wieder unter die Menschen zurückkehrt, stellt sie die Frage, die ich seit Wochen befürchtet habe: «Wo sind denn die Katzen … ich sehe keine Miezen!»

Innocent ist auch wieder mit von der Partie. Und brettert mit dieser sonoren Stimme, die bei jedem Übelhörenden zum Markenzeichen wird: «ES GIBT KEINE KATZEN … ALDO II. HAT ALLE VERJAGT. ICH WERDE DEM DACKEL DEN ­FRIEDENSNOBELPREIS VERLEIHEN!»

Nun schaut aber Miezen-Örsi so was von ­giftig, dass die Olivenbäume sofort die Blätter ­einrollen: «Wenn hier nicht auf der Stelle zwölf Katzen antanzen, reise ich ab!»

Diesmal schaut Innocent zum Himmel: «Ach Herr, so viel Güte durfte ich gar nicht erwarten!» Und siehe da – plötzlich tauchten sie aus allen Büschen auf, miauzen hinter den Hecken hervor und legen der Heissfelgen-Omi abgebissene Vipern-Köpfe und allerlei Gefiedertes vor die ­teuren Hermès-Schläppchen. Hexenschuss-Örsi tupft Tränen der Rührung aus den Augen: «Ich wusste, dass ihr mich nicht enttäuscht …»

Dann macht sie sich über die mitgebrachten Whisky-Stängeli her. Und verspricht mir den Zuhälterschlitten im Testament.

Dienstag, 10. November 2015