Von Aldo II. und den verschwundenen Katzen

Illustration: Rebekka Heeb

Alle lieben Katzen. Die ­Ägypter haben sie zum Haustier des Jahres erkoren. Die Franzosen haben mit ihnen das PUSSYCAT gegründet. Und auf unserer Insel mag man sie am liebsten mit viel Knoblauch und Rosmarin.

Katzen sind neben Frosch, Sau und Nilpferd die meistgekauften Nippes dieser Welt. Na ja – vielleicht noch Eulen. Aber keiner sagt uns, wie eine Eule an Knoblauch schmeckt.

KATZEN HINGEGEN – «JAMMJAMM!»

So zumindest behauptet Gianni. Dreht dabei den Zeigefinger in seiner dicken Backe. Und rollt die Augen.

SEINETWEGEN FÜTTERE ICH AUF UNSERER INSEL DIE WILDMIEZEN NICHT MEHR.

Ich habe Schweine geschlachtet, Kühe ge­molken und das Ionische Meer ausgefischt, nur um meinen lieben Kätzchen ein bisschen «Hammi- hammi» zuzubereiten. Ich habe sie so weit aufgemästet, dass sie nur noch auf Leitern über den Gartenzaun kamen. Und es waren Tausende, ja Millionen, die zu uns aufs Land flüchteten.

Gianni sagte nichts. Aber seine Augen ­s­­chauten bei ihrem Anblick so lüstern, wie wenn die junge Loretana wieder ein zu kurzes Röckchen trägt, dieses Luder!

So. Jahrelang also Katzenglück. Selbst unsere bescheidene Hütte wurde nach ihnen benannt («zu den singenden Miezen – ai gatti cantanti»).

Doch eines Tages, als Giannis Frau nach Weihnachten einen Muff trug, der dem lieben «Mollenkopf», wie wir unsern rammligsten Kater riefen, verdammt ähnlich sah, da zeigte mir Innocent die rote Kelle: «STOPP. JETZT IST SCHLUSS. ICH FÜTTERE DOCH NICHT HUNDERTE VON ­KATZEN, DAMIT SIE BEI GIANNI UND CO. IM BRÄTER LANDEN. AB HEUTE GIBTS KEINE HÜHNERBRÜSTE MEHR!»

Wie immer beugte ich demütig das Haupt. Sagte «Jaja». Und machte doch, was ich wollte.

Ich fütterte die Armen nun heimlich in 23 Tongefässen ausserhalb unserer Ländereien (Okay, es sind KEINE Ländereien, Herr Innocent. Es ist nur eine Hütte mit Schrebergärtchen! – GOTT IST DAS WIEDER EIN PINGELIGER KLUGSCHEISSER). Ich fütterte die Miezen also heimlich hinter dem Hag.

UND DANN KAM ALDO II. UND RÄUMTE AUF. Aldo II. ist der junge Jagdhund meines Nachbarn Augusto. Ich liebe Augusto. Und ich bin fast allem gegenüber sehr offen. Aber bei Augustos Abart muss ich das Handtuch werfen. Sein Fetisch besteht nämlich darin, seltsame Kleidungsstücke an sich zu werfen (das Stoffmuster sieht aus, als hätten hundert Kühe ins Grüne geschissen. TARNANZÜGE nennt man das Ganze). Dazu ein Paar Stiefel, die wir aus der Sadoszene kennen.

UMGEHÄNGT IST EINE KNARRE IN DER ART, WIE SIE IN DEN 1950ER-JAHREN ZWEI STUNDEN LANG DURCH DIE COWBOY-FILME GEBALLERT HAT.

Zum Typ: Nachbar Augusto hat seine wahre grosse Grösse auch formell nicht erreicht. Man würde sagen: Er läuft unter Zwerg. ­Entsprechend sieht es so aus, als würde ein Stück beschissener Wald eine Flinte spazieren führen – Ihr entschuldigt die derbe Sprache. Aber wir sind hier auf einer Naturschutzinsel.

Ausgerüstet mit einer Kühl­tasche, Operngucker und dem entsprechenden Hund, macht sich Augusto auf die Pirsch. Das Schilf schlägt sich über ihm zusammen – er wiederum schlägt zu. Und der Hund hat nun das abgeschossene Entlein aus dem Wasser zu fischen.

ALSO WENN DER ALTE BALLERMANN SCHON DIE ENTEN VOM HIMMEL HOLT, KÖNNTE ER SEINEN ARSCH JA SELBER BEWEGEN. ABER NEIN: «ALDO – DAI! DAI!»

«Dai! Dai!» ist die italienische Form von «dalli, dalli!». Unglücklicherweise schoss Nachbar Augusto eine Ente etwas zu weit vom Ufer ab. Wie ein Sandsack knallte sie auf den ­Meereswogen auf. Und: «DAI! DAI!» Der Hund schickte seinem Herrchen einen müden Blick zu. Und machte sich seufzend ins Nass – er kam nie mehr zurück. Und auch die Ente nicht. Amen.

Man holte sich Ersatz in Capalbio, diesem Ort, der bei allen Wildschweinen der ­Toskana gefürchtet ist. Hier nämlich gehts den lieben Tierchen ans Fett – HALALI! DIE JAGD IST IMMER OFFEN.

Neben der regionalberühmten Wildsau­metzgerei findet man auch den staatlich geprüften Jagdhund-Verband. Und dort war Aldo II. – klein. Aber listig. Als nämlich Nachbar Augusto mit der Ausbildung des jungen Entenholers begann, als er ihm all das beibrachte, das jeder Zirkuspudel schon in den Genen hat, zeigte sich der Welpe noch beflissen.

Als er dann aber mit dem Jäger erstmals in den Schilf zog und der losballerte – ja, als da ­wieder die Ente plumpste und die Aufforderung «DAI! DAI!», ertönte, da blieb Aldo II. einfach bei Fuss. Und bewegte sich keinen Zentimeter.

Augusto versuchte durch Gestik, künstlichem Gebell und Zähneklappern den Hund auf Vordermann zu bringen. Doch der schaute nur verstimmt. Ich würde sagen: Hätte er statt der Pfoten einen Mittelfinger gehabt, wäre dieser steil nach oben gestiegen.

Der Jäger brüllte seinen Hund an, er sei eine Pfeife. Doch der nahms gelassen. Zottelte fröhlich heim. Und gab Augustos Ehehälfte, der guten Donatella, bellend Bescheid, er sei denn schon mal da – der Alte komme wohl auch bald.

Donatella schob dem Hund ein paar Fleischbrocken zu. Und wartete auf ihren Mann, der ihr statt Sterne immer nur Enten vom Himmel holte. ABER EBEN: DIESES MAL NICHT MAL DAS!

Damit wären wir wieder bei unsern Katzen. Die kugelten sich nämlich vor Lachen, als die Geschichte beim Rumrammeln die Runde machte.

UND AUSLACHEN LÄSST SICH EIN HUND NICHT! Seither jagt Aldo II. statt Enten die Miezen. KEINE ­K­­ATZEN MEHR BEI UNS RUNDUM!

Und wie ich die Dinge so sehe, kann sich Giannis Alte einen zweiten Muff zum Weihnachtsfest ins Kamin schreiben…

Dienstag, 3. November 2015