Der Bettler schlurbte an den Tisch.
Verfilztes Haar. Aufgerissene Hosen. Schwarze Füsse, die in zerfledderten Badeschlappen steckten.
In den Händen hielt er einen von den Römer Abgasen angegrauten Kartonbecher. Im Becher lagen ein paar Münzen aus den Euroländern, 5 US-Cents und ein 20-Räppler aus der Schweiz.
Ein internationales Währungstreffen also.
Der Alte klimperte nun auffordernd vor Marthas spitzer Nase mit dem Sammelbecher herum.
Die schaute einfach nicht hin. So hatte es der Reiseführer im Bus erklärt: «IGNORIEREN. NICHTS GEBEN! SONST IST AUCH DIE GELDBÖRSE WEG!»
Martha tastete an ihre Bluse.
Sie hatte sich den Beutel mit den Euroscheinen, dem Lippenstift, drei Feuchttüchlein und die Lesebrille um den Hals gehängt.
Gottlob – alles da.
Und «...der soll jetzt verschwinden!», zischte sie zu Hugo. Sie versuchte dabei die schmalen Lippen nicht zu bewegen.
Hugo paffte weisse Davidoff-Wolken in Richtung Pantheon. Er klopfte seine Hosentasche ab. Und warf dem Bettler ein Zwei-Euro-Stück in den Becher.
Der schüttelte nochmals kräftig das Kleingeld, so dass es fröhlich klimperte. Und humpelte zum nächsten Tisch.
«Nicht mal ein ‹Danke›!» – bewegten sich nun Marthas Lippen plötzlich sehr energisch «DU SOLLST DOCH NICHTS GEBEN ... DER GRUPPENFÜHRER WEISS GENAU, WAS ER SAGT!»
Hans schaute zu den billig kostümierten römischen Kriegern. Sie liessen sich für zehn Euro abknipsen. Videos kosteten das Dreifache. Dafür gabs einen Kuss. Meistens lagen kichernde Touristinnen am blechernen Brustkorb. Die Bilder wurden im Facebook-Freundeskreis herumgepostet: «MEIN RÖMER!»
Sofort kamen Daumen-nach-oben-Likes – «DEN HATTE ICH AUCH!»
Die wenigsten wussten dass «IHR RÖMER» aus Polen kam. Italiener haben zu viel Respekt vor ihrer Geschichte, als dass sie sich für so eine Schmiere prostituieren würden.
«Ich kann schliesslich nicht eine Zigarre paffen und das arme Schwein ignorieren...», kam Hans nun aufs bettelarme Thema zurück.
«DU SOLLST ÜBERHAUPT NICHT RAUCHEN!» – Martha war nun in Fahrt.
So wie ein Thanksgiving-Truthahn mit Füllung gefüllt wird, hatte der Schöpfer Martha mit Verboten vollgestopft. Sie liess alles raus:
«Trink nicht so viel...»
«Iss nicht so fett!»
«Musst du schon wieder eine paffen...?!»
Als der Arzt ihm nach seiner Pensionierung die Zigarren verbot, hörte er genauso wenig auf ihn wie auf den Reiseführer. Martha hatte ihn gegenüber Verboten immun gemacht.
Der Bettler hatte nun erfolglos die Runde gemacht. Und kam wieder zu Hugos Tisch.
Marthas Augen funkelten – die Lippen waren ein dünner Strich.
«Hast du eine Zigarre für mich?», fragte der Mann mit dem verfilzten Haar nun Hugo.
Der grinste. Öffnete sein Lederetui. Und liess den Bettler eine seiner... rausziehen.
«DU SPINNST DOCH!» – konnte es Martha nun nicht verklemmen.
«Danke!», sagte der Bettler.
Zwei Jahre später starb Hugo an einem Infarkt. Martha weinte lange. Und richtete ihm eine prächtige Bestattungsfeier aus. Hugo sank ins feuchte Grab. Obwohl ihm der Rauch der Kremation lieber gewesen wäre.
Als Hugo schliesslich vor dem grossen Tor stand, winkte ihm Petrus entgegen: Hugo erkannte im bärtigen Alten den Bettler vom Pantheon wieder.
Der zwinkerte: «Du magst vielleicht eine schwarze Lunge haben – aber ein goldenes Herz!»
Dann öffnete er das Portal: «Herzlich willkommen. Es gibt auch eine Raucher-Lounge ..»