Vom schiefen Turm und der gefallenen Liesel

Illustration: Rebekka Heeb

«Ach Lieselchen – ist der Turm nicht schön schief?» Innocent sülzte wieder mal Schleim.Und dies nur, weil ihr unser Salzburger Trachtenmüll zwei Flaschen von diesem grünen Veltliner gebracht hat. ALSO DEN KANN ICH NICHT MAL ALS SALATESSIG VERWENDEN! Doch Innocent jagt ihn runter, als sei es erste Lese.

Irgendwie war in Pisa alles schief. Nicht nur der Turm. Auch die Stimmung – «krumm» sage ich nur. Es hatte damit angefangen, dass uns Liesel zum Nachtessen einladen wollte. Es war so ein Hogafoga-Restaurant, wo einem die Kellner die Servietten aufs Knie legen, was mir gegen den Strich geht. Was sollen die dort unten? Die Saucenspritzer jagen eh stets zielsicher zur Krawatte.Dann kamen Portionen, die man auch mit Brillenstärke 3,5 nicht fand. Und als ich nach dem siebten Degustations-Gang noch immer hungrig nach einem Stück Kuchen schrie, schauten die mich an, als hätte ich eine Mondfahrt bestellt.

Na ja – nicht schlimm. Für solche Fälle habe ich immer eine Jumbo-Packung Snickers dabei. Als Liesel aber die Rechnung vorgesetzt bekam, spitzte sie ihr Mündchen. Pfiff wie ein Dampfkochtopf. Und ihr gepuderter Salzburger Knödel blasste ins Leichentuch-Weisse.

Dann nistelte sie aufgeregt im Trachtensack. Und machte grosse Augen: «Y glaub y hob mai Geldbörsen vergessen...»

Innocent griff sich erschrocken ans Herz. Und dann zur Brusttasche. Das war eben der Moment, als die Stimmung sich krümmte. Jedenfalls gab sich mein Freund im Hotel dann ziemlich stinkig: «Dieser geizige Drachen!», tobte er.

DAS WAR GROSSES LABSAL AUF MEINE GESCHUNDENE SEELE. Ich spürte, wie sehr der Gütige im Himmel mich liebt...

Zurück zur Pisa-Studie: Am andern Tag besuchten wir die Piazza dei Miracoli. Ich meine: alles da. Schief zwar. Aber irgendwie in seiner krummen Art faszinierend. Liesel fegte mit ihrem Fächer eine Herde japanischer Knipser unbarmherzig aus der Foto-Perspektive:

«Schau Hubserl – is dös net äfäschineiting!»

MAN AHNTS. SIE HAT EINEN ENGLISCHKURS BESUCHT. Doch ging es weniger um Vokabular oder Konjugation. Der Lehrer hatte das, was die Österreicher «Holz vor der Hütten» nennen. Nur eben beim Mann. Und untenrum. Muss ich noch deutlicher auspacken?

Im Übrigen, wie soll so ein Trachtenkrapfen drei englische Wörter behalten, wenn sie schon immer das Portemonnaie im Restaurant vergisst. Jetzt könnt ihr aber raten, wer dann einspringen muss – derselbe Mann, der an jedem Rolex-Geschäft kopfschüttelnd vorbeigeht: «Wir brauchen nichts, solange noch die Swatch tickt!»

UND EBEN DER BRÜLLT JETZT: «PASS AUF, LIESELCHEN!»

Es ist zu spät.

Immer mehr hat sie sich mit dem iPad vor der Birne rückwärts bewegt, um das Schiefe gerade ins Bild zu bekommen.

Doch dann war da eine kleine Absperrung. Nur ein handhoher Eisenhag. Aber sehr effizient in seiner Wirkung!

Der Rest ist Drama.

Die Salzburger Gräfin stolperte beim Rückwärtsgang darüber. Fiel dem Turm zu Füssen. Und krachte dabei auf ihre ziemlich üppige Kniescheibe.

Sofort rannten die Männer auf das Jammerbündel zu. Natürlich gefiel so etwas der Gefallenen. Sie machte eine riesige Geschichte aus ihrem Fall: «Ohhh dämmed!» (Dieses amerikanische Unwort hatte sie immerhin noch intus.)

Etwa 20 Männerarme hievten das Wrack hoch. «Machts langsam, ihr fesche Mannsbilder ...», gurrte die Gräfin. Dann pflasterte man sie auf einen Absperrstein. Und Hubert war nicht mehr sich selber: «Ach Lieselchen... mein gutes Weiberl, mein süasses Seelchen... hast du dir weh getan?»

«FRAG NET SO DEPPERT...», brüllte sie ihn an. «Y brauch en Notfallarzt... ACTION! But a littel dalli dalli!»

ICH ABER ZOG MICH STILL IN DIE SCHÖNE KIRCHE ZURÜCK, UM IHM FÜR SEINE GNADE ZU DANKEN.

Dann spendete ich noch fünf Kerzen mit der Bitte: «Lass sie in Pisa liegen – und schick mir den Hubert alleine auf die Insel!»

So weit ging dann mein Kredit auf dem himmlischen Konto nicht. Vermutlich stark überzogen. Jedenfalls erklärte der afrikanische Arzt, der ihr im «PRONTO SOCCORSO» den

Scheichen betatschte: «Non è niente, Signora!»

DOCH MIT SO ETWAS DARF MAN DER SALZBURGER MOHNNUDEL NICHT KOMMEN! DIE LEGT SICH NICHT UMSONST FLACH. Und deshalb: «You känn gut spiiken english zu mir – und soogen s net, ass mai Haxen gonz isch. Der isch futschi... y will e Bandaasch!»

Hubert wusste nicht ein und nicht aus. Auch Innocent flatterte herum. Er fauchte den Arzt an: «Sie sehen doch wie sie leidet...»

Der zuckte die Schultern: «Soll ich sie still­legen?», fragte er in akzentfreiem Deutsch.

«Ja, ja, ja», flüsterte ich.

«NEIN... nein... nein», brüllte nun Innocent. «Legen Sie ihr zumindest einen Verband an...»

Für den Bruchteil einer Sekunde sah ich Liesel als ägyptische Mumie vor mir. Zugebunden. Von oben bis unten. UND SOMIT PAUSE. Es war ein verlockend schönes Bild. Aber sie zogen ihr nur so etwas wie ein riesiges Gummipräservativ übers Knie. Und sie stellte sich an, als würde man sie amputieren.

Eine fröhliche Krankenschwester aus Sri Lanka gab uns dann noch einen Sack mit Ersatz- Mullbinden. Und ein Döslein Saridon.

«Jetzt brauch I nur noch mai Ruah!», stöhnte Liesel. «Y glaub, wir fahrn direkt zu euch auf die Inseln...» ALARM! ALARM! ALARM!

Denn wer muss dort die Krankenschwester spielen? Eben!

«Ich sorge für mein liebes Lieselchen», sage ich nun. Und traue meinen eigenen Worten kaum.

Nun gut – ich buche es als Kreditvorschuss auf mein himmlisches Konto.

Dienstag, 13. Oktober 2015