Rote Schuhe

Er liebte Schuhe. Frauenschuhe.

Das Wichtigste: Sie mussten rot sein. Mohn­blumenrot.

Das prägende Erlebnis hatte ein Seelenklempner auf die Kindergarten-Zeit datiert.

Alle mussten da Finken mitbringen. Als Bruno diejenigen von Dora sah, verschlug es ihm den Atem.

Es waren samtene Pantöffelchen in der Farbe von lodernden Flammen.

BRUNO SCHAUTE ENTSETZT AUF SEIN EIGENES SCHUHWERK: MANCHESTER-SCHLURBEN IN DER VERSCHISSENEN FARBE FRISCH GESETZTER HUNDEKEGEL.

Später sollte Bruno lernen, dass das Leben nur Frauen bunt auf die Füsse stellt. Männer sind diesbezüglich beschissen dran. Wenn sie sich wehren, gelten sie als Schwuchteln. Oder wie Ferrari-Toni (in seinen weissen Lackstiefeln) als Zuhälter.

95 Prozent aller Männerschuhe sind in der Trauerfarbe eines Sargs. Oder sie gehen ins Wildschweinfarbene – dies in einer Zeit, wo das Braune noch immer den miesen Beigeschmack von schwarzen Stiefeln hat.

Gabs je einen mohnroten Militärschuh im Felde? ODER GAR MIT HÖHEREM ABSATZ?

Nein.

Der Tritt in den Hintern unter Männern muss maskulin dreckig sein. SO ETWAS WÜRDE MIT ROTEN NAGELSCHUHEN AUS DEM RUDER LAUFEN!

Deshalb: coole Molchfarbentarnung.

Als Bruno Doras rote Schlappen sah, vibrierte er. Und wollte sie küssen (nicht Dora, die Schlappen!).

Es gab ein zünftiges Hallo seitens der Kinder­schultante. Sie empfahl kalte Umschläge vor dem Schlafen und eine psychologische Abklärung.

Mit zehn schrieb Bruno ganz zuoberst auf der Wunschliste fürs Christkind:

«Rote Schuhe – so wie Tante Irmi sie hat …»

Das Christkind lachte herzlich. Und brachte einen Fussball. Diesmal in der gebräunten Ledernuance eines italienischen Rettungsschwimmers.

In der Pubertätsphase blieb Bruno vor den Schuhgeschäften stehen. Frauenseite. Die Auslage machte da meistens neun Zehntel des Angebots aus. Bei den Männern: Sandalen von Kneipp. Und Knöchelhalter von Birkenstock. Es gab entsprechend wenig Frauen, die vor der Männerauslage stehen blieben.

Bruno also vor den neusten Pumps. Seine Augen fixierten die roten. Und er spürte das, was sein Vater ihm in der kurzen Aufklärungsminute, als er ihm das gebundene Heftlein «DU SOLLST ES WISSEN» überreichte, als «männliches Aufflammen» erklärte.

So. – Er heiratete Brigitte. Oder eigentlich: Er heiratete ihre Schuhe. Brigitte hatte zwei Kästen davon. Und derweil sie in ihrer Yoga-Stunde die Mitte suchte, suchte Bruno nach den roten Modellen.

UND AB GING DIE POST.

Einmal nur hatte er sie gebeten, bei ihrem Samstags-Sex die roten Hacker anzuziehen.

«BRUNO!» – das ging nicht mit ihrer Mitte im Gleichklang.

Es waren dann ausgerechnet ein Paar blutrote Pumps, die ihn das Leben kosten sollten: Er sah die Hacken … sah ihr schimmerndes Rot … und riss auf seinem Velo einen abrupten Stopp.

Der Lastwagenfahrer hinter ihm hatte aufs Handy gesehen. Und nicht auf die roten Pumps.

Obwohl Bruno in seinem letzten Willen verfügte, er wolle in roten Schuhen den letzten Weg gehen, hatte Dora entsetzt abgewunken.

Sie streiften ihm also Söckchen über. Creme­farbig. AUSGERECHNET!

Petrus erwartete ihn schon. Bruno hatte sich den Himmel wirklich verdient – ein Leben in braunen Schlurben war Hölle genug.

«Zieh die Söckchen aus!», lächelte Petrus vor dem goldenen Tor. «Dort sind deine Hausschlappen!»

Auf einer Wolke schwebten zwei Paar Pumps. Hochhackig. Und rot.

Bruno war im Paradies.

Montag, 5. Oktober 2015