Von einer vermissten Kartoffelpresse und Schlutzkrapfen

Illustration: Rebekka Heeb

«Wo ist sie?» – Innocent wühlt sich wie ein Maulwurf durch unser Gepäck.

WENN ICH GEPÄCK SAGE, HÄTTE AUCH DAS WORT «SCHUTT» DEN PUNKT GETROFFEN.

Unser Kleinstwagen war vollgemüllt mit all dem Mist, den einer auf die Reise einpackt. Und nie braucht. KENNEN WIR DOCH!

Am Ende bleiben immer zehn unbenutzte Hemden übrig. Sie sind schön zusammengefaltet. ­Werden in den Hotels herausgenommem. Im Schrank versorgt. Wieder in den Koffer gepackt. UND SPÄTESTENS JETZT KOMMT DER SCHWUR: «Nächstes Mal nur das Nötigste…»

Doch mit den Kofferpack-Schwüren ist es wie mit der Fastenkur: Es bleibt beim guten Vorsatz.

Innocent stemmt energisch die Hände in die Hüften. Sein Kopf hat die Farbe eines Lösch­hydranten angenommen. Und seine Stimmung ist stinkig: «WO? IST? SIE?»

Wieder geht er knurrend über die Taschen und Koffer, Kisten und Tragtaschen. Dabei bruddelt er ständig vor sich hin. Das ist ein Tick von ihm, der erst in späten Jahren ausgebrochen ist: Er spricht mit sich selber. Er tut dies aber in der Phonstärke eines Stadionlautsprechers.

Genervt wirft er jetzt einen Gartenzwerg in die Ecke unseres Parkplatzes. Ich habe den allerliebsten Kunststoff-Gnom im Münchner Ausverkauf erstanden. Zugegeben. Wir sind nicht arm an Gartenzwergen. Und auch in diesem Punkt habe ich schon mehrmals hochheilig versprechen müssen, das sei jetzt der letzte. Nur: Der hier ist etwas ganz Besonderes. ER REITET AUF EINER LILA SAU.

Ich meine: So etwas ist doch wirklich originell. Schon eine lila Sau ist relativ selten. Und dann noch mit einem Gartenzwerg, der auf ihrem Rücken die Geige geigt. JA HOPSASSA! DA GEHT DOCH SELBST DEM NÜCHTERNSTEN ­MINIMALISTEN DAS HERZ ÜBER – UND DIES MIT 50 PROZENT HERBSTRABATT!

Innocent schaut mich nun mit diesem vorwurfsvollen Blick an, den er drauf hat, wenn ich ihm die dritte Weinflasche wegschliesse: «Du hast sie weggeworfen!»

Anklagend hebt er die Hände zum Himmel und brüllt die dort oben an: «JA HERRGOTT, DAS GIBTS DOCH NICHT!»

Doch gibt es.

Aber ich tu ganz ahnungslos, etwa so, wie wenn ich die Weihnachtsgeschenke öffne, deren Inhalt ich schon längstens durchleuchtet habe: «WOVON REDEST DU EIGENTLICH?»

Innocents Stimme kippt nun ins Weinerliche:

«Tu nicht so scheinheilig – du weisst sehr genau, wovon! Ich habe sie in Meran selber ins Auto gepackt. Zusammen mit dem Schüttelbrot, der Rehwurst und den Schlutzkrapfen…»

DAS IST AUCH SO ETWAS!

Wir nächtigen in Meran in einem prächtigen Hotel mit noch prächtigerem Frühstücksbuffet. Es hat dort Rehwurst (fein aufgeschnitten), Schüttelbrot (härter als dreijährige Anisbrote) und bereits zum Frühstück «Schlutzkrapfen», was so viel wie ein italienisches Ravioli mit etwas dickerem Teigmantel ist.

Innocent häuft sich fünf Teller voll. UND DANN AB IN DIE TUPPERWARE-BÖXLEIN!

Er kennt da keine Scham: «Das ist für unsere Katzen», sagt er den Kellnern. Die heben die Augen himmelwärts und senken sie erst wieder, wenn ich ihnen hinter Innocents Rücken Euroscheine zustecke. Und jetzt also: «Sie war in einem Karton. Und diesen Karton habe ich eigenhändig im Kofferraum verstaut!»

Das stimmt.

Aber als er damals von seinem Einkaufstrip mit eben diesem Karton ins Hotelzimmer kam, wusste ich: Die nicht! NEIN. DIE KEINESFALLS! WAS SOLL ICH MIT EINER KARTOFFELPRESSE IM SÜDEN DER TOSKANA!

Ist so einer noch zu retten. Der kauft mir so ein Ungetüm von Stampfmodell mit gelöchertem Boden und Hebelwirkung, nur damit «du mal einen anständigen Stock auf den Tisch bringst!»

WAS – BITTE! – IST AN MEINEM STOCKI­PÜREE NICHT OK?

Als Innocent vor der Abreise noch rasch für einen Pipi-Halt verschwand, verschwand auch seine Kartoffelpresse. Blitzschnell habe ich sie unter den Schlutzkrapfen hervorgezogen. Und im Hotelzimmer liegen lassen. War ja klar, dass so etwas Theater geben würde. ABER BEWEISEN KANN ER MIR GAR NICHTS.

Deshalb:

«Ich habe keine Ahnung, wovon du eigentlich redest!» ICH LÜGE ALLES STUR WEG – MIT DIESER TAKTIK WÄRE ICH EIN GUTER POLITIKER GEWORDEN!

Endlich ist der Mikrowellenofen installiert…die Schlutzkrapfen sind im Tiefkühlfach. Und das Schüttelbrot hat bereits einen Stiftzahn gekostet… DA SCHELLT DAS TELEFON. Am anderen Ende ist die liebe Frau Eisenhut – die Besitzerin des Meraner Hotels: «Vermissen Sie gar nichts?»

Ich eile hurtig aus der Gefahrenzone. Denn Innocent äugt schon misstrauisch: «Wer ist es?»

«Der Fernsehinstallateur…», winke ich ab. Und dann raune ich in den Hörer: «EINFACH ENTSORGEN. NICHT AUS­PACKEN. WEG DAMIT. ES WAR EIN FEHLKAUF!»

Pikierte Stille. Dann etwas erstaunt: «Wenn Sie meinen…»

Als wir uns auf der Insel eingelebt hatten, kam Innocent aufgeregt aus seinem Zimmer: «Wo sind eigentlich unsere Salzburger Smokings? Die steckten doch in diesen Kleidersäcken...?»

Ich spürte, wie eine eisige Hand meinen Magen durchwühlte: ICH HATTE DIE SMOKINGS IM HOTELKASTEN HÄNGEN LASSEN!

«Vielleicht solltest du mal anrufen», meinte Inncoent nun, «und frag auch gleich nach der ­Kartoffelpresse…» Frau Eisenhut in Meran wusste zu berichten, dass sich der katholische «Trödelmarkt» über die zwei Festspiel-Anzüge der Herren ganz speziell gefreut habe. Der Erlös gehe an die Flüchtlingshilfe.

Bevor sie das Gespräch beendete, meinte sie noch: «Da war übrigens auch eine ­Kartoffelpresse. Die bewahren wir bis zu Ihrem nächsten Besuch auf…»

Dienstag, 29. September 2015