Vom «Durchdiener» und von falschen Wimpern…

Illustration: Rebekka Heeb

Tim greift sich an die Kehle wie im Horrorfilm. Dann verdreht er die Augen: «Ich sterbe vor Durst» – und knallt mit dem Handrücken den Korken vom Bierfläschchen.

«Kannst du nicht mit einem Flaschenöffner…», höre ich meinen lahmen Einwand. Und fühle mich steinalt.

Dann: «…nimm wenigstens ein Glas!»

JETZT FÜHLST DU DICH NOCH ÄLTER!

Tim gurgelt das eiskalte Gebräu nämlich ­blubbernd den Hals runter. Ich erspare ihm die Studie über Impotenz durch Eisgetränke. Und er stöhnt vor Lust. Dann rülpst er laut. JETZT SAGE ICH GAR NICHTS MEHR.

Er aber jagt den tiefsinnigen Satz dem Rülpser hinterher: «Ich bin ab nächsten Monat ein Durchdiener!»

«Wie schön», nicke ich. Natürlich habe ich mir für meinen rosigen Lebensstil schon immer einen Durchdiener gewünscht. Ging aber nicht. Zu wenig Knete. Und was die Leute da alles zu ­wäffeln hätten: «Dienert dieser schwarze Mann mit der satten Jeans tatsächlich nur mit dem Staubsauger bei der alten Schwuchtel rum… oder dienert er auch anderswie…?»

FRAGEZEICHEN. FRAGEZEICHEN.

Das ist wie mit den blonden Sekretärinnen, die von der klatschsüchtigen Umgebung nicht nur auf Griffel reduziert werden… sondern auch noch auf die Frage: «Spitzt sie diese richtig?» (Kann man das so sagen? Egal. Ihr wisst, was ich meine).

Nun gut. Ich bringe da nichts Neues…

Nur so viel: Tim ist das Augenlicht meiner alten Tage. Mein sonnigstes Patenkind. Dazu das jüngste (die andern verlieren bereits Haare) – und so jung jetzt auch nicht mehr.

Tim hat schon so viele Beziehungen hinter sich wie Frau Sommaruga Auslandsflüge im Namen des Landes. UND JETZT ALSO DAS: DURCH­DIENER. Ich will meinem Patensohn bestimmt nicht in die berufliche Laufbahn reinpinkeln. Aber ich hätte ihn schon gerne in einem weissen Ärztekittel. Oder zumindest als Filialleiter von Lidl. Man wünscht sich für die eigenen Jungen schliesslich etwas Rechtes. Lange hat er DJ werden ­wollen. Wäre ganz okay. Obwohl ich noch immer nicht kapiert habe, was die eigentlich so machen? Und wie sie mit diesem platten Geschäft den Stutz reinrocken.

ABER DURCHDIENER? LOHN DURCH DIENEN? Gut. «Jemandem zu dienen» hat sicher etwas Erhabenes. Fast schon Biblisches. Na ja – es ist einfach gutmenschlich schön. Doch als Durchdiener hätte Tim auch schon nach der 6. Klasse mit einer Servicestelle im «Braunen Bären» anfangen können. MAN DURCHDIENERT DOCH NICHT MIT EINER FÜNF IN ALGEBRA. UND DIE DANN NOCH IM MATURZEUGNIS!

«Pfffft!» Wieder Handkantenschlag am Bierfläschchen. Wieder Gerülpse. Und jetzt leicht gerötete Äuglein: «Du bist zehn Monate am Stoss – doch dann hast du die Scheisse ­hinter dir!»

SPRICHT SO EIN GUTMENSCH?

«Welche Scheisse?» – Es macht keinen Sinn ihn wegen der Wortwahl zu rügen. Genauso gut könnte ich einem Dackel Eierlegen beibringen.

«MILITÄRDIENST … ALL DIESES THEATER MIT MÄNNCHEN MACHEN UND BESCHISSENE SCHÜSSE SCHIESSEN!»

Um Himmels willen. Er wird doch nicht in den Krieg ziehen?

JETZT NEHME ICH EIN BIER.

«Weshalb hast du nicht verweigert? In meiner Zeit haben alle verweigert…»

Ich muss an den erhebenden Moment der ­Aushebung denken: Brust raus. Hose runter. Ein netter Arzt fummelte an mir herum: «Alles dran!»

«Aber hallöchen!», huchte ich. DA WAR DANN DER TEUFEL LOS.

Sie schickten mich zum Klapse-Doktor. Ich lag auf der Liege. Und log eine irre Story mit Schwerpunkt «vom Milchmann missbraucht» zusammen.

Am Schluss weinte der Psychiater.

Na – jedenfalls bin ich dann mit einem klaren Gutachten des Seelenklempners eingerückt. UND DIESEN PSYCHOGARTEN HÄTTET IHR MAL ERLEBEN SOLLEN. Als die Herren Obersten (also: die obersten Heer-Herren) einander stumm das Schreiben weitergaben, war panische Stille im Saal. Sie schauten fassungslos aufs Geschriebene sowie auf meine falschen Wimpern. Endlich stand der Höchste aller Obersten auf. Er hatte eine belegte Stimme. Wedelte mit dem Psycho-Wisch. Und krächzte: «Junger Mann – haben Sie noch einen Zug nach Basel? HIER ­KÖNNEN SIE AUF KEINEN FALL ÜBER­NACHTEN!» Ach – diese uniformierten uninformierten Dummerchen! WIE SOLLTE SO ETWAS JE DEN KRIEG GEWINNEN?

Draussen, vor der Kaserne in Payerne, wartete Ulli, mein Lover, im Zweisitzer. Ich zupfte mir die Wimpern ab. Und wir feierten in einer Fribourger Schwulenkneipe. «DU KÖNNTEST DOCH SAGEN, DU SEIST GERADE IM UMBAU UND HEISSEST DORA …», gab ich meinem Patensohn den Tipp zum Tag durch.

Er lachte höhnisch auf: «Hast du eine Ahnung. Die nehmen heute alles. Ich habs mit jeder Ausrede versucht – ich sei ein schwuler Veganer und hätte eine Käseschnitten- Unverträglichkeit.» Und?

«… ja, ja, meine Tante ist Astronaut und mein Onkel die Lola beim Tabledancing», hat dieser Arsch von Militärarzt mich angemacht. ‹Dienern Sie einfach durch – und sie haben nicht nur unserm Land, sondern auch ihrem magern Ego einen Dienst erwiesen…› – das war der O-Ton des Militanti…»

Ich warf mich Tim vor die ausgelatschten Nike-­Schlappen: «…tu mir das nicht an! ERBARMEN… JAMMERTAL… ACH TRÜBE WELT… du bist der einzige meiner Patensöhne, der sein eigenes Bett machen und sich Büchsenravioli reinziehen wird…»

Er schüttelte mich ab wie einen am Bein hoppelnden Hund: «…jetzt krieg dich wieder ein. Ist doch alles ganz easy. Wir haben zehn Monate freie Kost und Logis, am Schluss 20 000 Eier auf die Kralle… und bei der Kaserne stehen jede Menge Bierkisten und heisse Bräute herum…»

Natürlich werde ich ihn mit Feldpaketen bombardieren: Studentenfutter, Kondensmilch in der Tube. Und vielleicht noch ein paar falsche Wimpern…

Dienstag, 25. August 2015