Vom Wandel der Medien und tanzenden Redaktoren

Illustration: Rebekka Heeb

Zeitungen sterben. Weltweit.

Sie erlöschen wie die Sterne im All – oder wie abgefackelte Kerzen in den katholischen Kirchen. Es bleibt ein bisschen Weihrauch um alles. Und der Glaube aufs Bessere.

Als altes Zeitungspferd stirbst du immer ein bisschen mit. Manchmal tut es weh.

Manchmal findest dus auch spannend: Was kommt jetzt? Sicher ist: Der Medienbetrieb hat sich immer verändert.

Als ich vor bald einmal einem halben Jahr­hundert (um genau zu sein: vor 48 Jahren) bei der damaligen National-Zeitung auf dem Basler Aeschenplatz (vis-à-vis der heutigen BaZ, beim Hammering Man) eine Anstellung bekam, gabs einen einzigen Kaffeeautomaten für alle.

Dafür gabs aber einen Redaktionsdiener, der die Post verteilte. Und seine Schublade zu einem florierenden Zigarettenladen umfunktioniert hatte. Man munkelte, dass er mit dem Verkauf von «Gauloise ohne» mehr gute Kohle gemacht hat als der Chefredaktor mit seinen Leitartikeln über das Schlechte der Welt.

Das Faszinierende: Das damalige Medienland tickte und tickerte anders. Auf den Redaktionsgängen herrschte das emsige Hin und Her wie im Ameisenbau. Nonstop. Kein Tag ohne das geschäftige Gewusel, ohne Alarmglocken aus dem Fernschreiberzimmer (wo sechs Agenturen ihre heissesten News auf Ticker mit schrillen Tönen ankündigten) – und auch kein Tag, ohne dass die Rohrpost verstopft war.

Da war kein Tag, an dem wir nicht zwei Zeitungen herausgebracht hätten – Morgen- und Abendblatt. ABER HALLO!

Meine erste Schreibmaschine war ein Riesen­ungetüm der Firma Remington. Auf den runden, mit Chromstahl beringten Tasten habe ich mir die dicken Finger geholt. Jedes Eintippen der Buchstaben A und F war das, was man heute im Fitness­land Krafttraining nennt. Meine Finger bekamen die Statur von Schwarzenegger vor dem Comeback. Sie verweichlichten erst über den Sanfttasten der heutigen Computer zu fetten Würstchen – wie ein Opa, der das Bauchmuskeltraining mit 70 an den Nagel hängt.

Manuskripte waren kaum zu entziffern. Und jeder Schriftsetzer, der so ein verknittertes Manuskript mit 100 Anmerkungen und von Hand gekritzelten Korrekturen vor seinen Setzstuhl bekam, musste über die Stahlseilnerven einer ­EU-Kommission vis-à-vis eines griechischen Wirtschaftsministers verfügen. Die Männer sollten auch über die göttliche Gabe eines Hellsehers verfügen: «Was könnte das heissen? – Nun gut, ich deute es mal so …» Kurz: Schriftsetzer von damals waren die Mike Shivas von heute.

Da die Luft im Setzsaal, wo das Blei als feste Klötze direkt am Schreibstuhl geschmolzen werden musste, meistens um rund 45 hitzige Grad herumflirrte, darf man ruhig sagen: Die Stimmung auf den Zeitungen jener Zeit war stets heiss. Jedenfalls hat die Belegschaft meistens oben ohne die Buchstaben gegossen. Und unten war auch nicht viel. Auf der Mettage wurden die Bleiartikel dann in einem Stahlschiff zu einer Seite zusammengepuzzelt. Die Metteure fühlten sich als etwas Besonderes. Und waren den einfachen Setzern ein Dorn im Fleisch.

Wenn ich in Hotpants zwischen den entweder auf Zahnstocher kauenden oder Stumpen paffenden Männern hin- und herschwirrte: «Also wir müssen hier etwas ändern – das muss leider raus!», dann war der Teufel los. Sie wackelten politisch total unkorrekt mit ihren Hintern. Riefen «huch» und «hach». Und danach hagelte es wüste Bemerkungen über die Tuntenwelt.

NATÜRLICH BIN ICH DESWEGEN NICHT GLEICH MIT DER REGENBOGENFAHNE LOS­GEZOGEN. ICH WUSSTE: DIE ARMEN MÄNNER HABEN AUCH IHRE TRÄUME – UND EINE MUTTI DAHEIM, DIE IM ENTSCHEIDENDEN MOMENT DEN WÄSCHETAG ALS ENTSCHUL­DIGUNG VORSCHIEBT. DIE FRUSTHAUFEN MUSSTEN DOCH EINFACH IRGENDWO DAMPF ABLASSEN! ALSO LIESS ICH SIE JAULEN!

Die Herrschaften rasselten jedes Mal mürrisch drohend mit den Bleischiffen. Und ersetzten schliesslich tobend die Zeile «Regierungsrat Hauser ist mit seinem Hund in den Langen Erlen gesehen worden» durch «Regierungsrat Hauser hat in den Langen Erlen die Enten gefüttert». (Hausers Hund hatte nämlich unerwartet den Gipfel gemacht. ­Exitus. Familiendrama. Und man konnte sich in den späten 1960ern in allen politischen Leitartikeln krasse Ungenauigkeiten leisten – doch nie im Klatsch).

Einmal nur habe ich erlebt, wie so ein Metteur einem nicht unbedingt beliebten Wirtschafts­redaktor – nachdem dieser zum 23. Mal seinen Börsenkommentar ändern wollte – das 80 Kilo schwere Bleischiff nachschoss. Da hatte man es mit Hotpants und «huch» leichter.

AUCH DAS MUSS IN EINER ZEIT DER ­AUF­ARBEITUNG GESAGT WERDEN!

Frauen? – Zero! Fanden einfach nicht statt. Natürlich gabs die Moderedaktorin, über die man(n) so leicht von oben herab lächelte wie über den Milchmann, wenn er seine Eier pries. Und es gab die Sekretärinnen, welche ihren Ressortchefs heissen Kaffee aufbrühten, damit diese ihren ­kalten besser auf Papier rauslassen konnten.

Aber Kaffeeköchinnen waren nur der oberen Garde vorbehalten – die andern holten sich die Brühe am Automaten aus dem Pappbecher. UND MEISTENS SCHMECKTE DER PAPPBECHER ­BESSER ALS DER KAFFEE.

Die gastronomische Revolution – oder eigentlich: die Wandkantine – kam mit einem Essautomaten, der ­zwischen Rohrpost und SDA-Ticker installiert wurde. Das Angebot hinter der Scheibe bestand aus trockenen Appenzeller-Bibern oder Cailler-­Branchli. Cailler war nach einer halben Stunde stets ausverkauft. STAUNT NUR! ABER FRAGT NICHT, VON WEM.

Keine Frauen also. Nur die Damen, welche mit Kopfhörern das Geschehen dieser Welt aufnahmen. Und meistens unter Migräne litten. An Sonn- und Feiertagen erschienen sie mit Körbchen. Darin lagen nicht etwa haus­gebackene Kuchen oder Anisbrote. Darin gurgelten Rotweinflaschen. Denn gebechert wurde in jener Zeitungszeit, wie ich das später nie mehr erlebt habe. Der Alkohol war das Koks der Schreiberlinge von heute.

«Nur so ist die Welt auszuhalten!», hat mir einmal ein Auslandschef die Weisheit des Tages durchgegeben. Es war an einem Weihnachtstag gewesen. Später habe ich ihn mit der Sekretärin im Depeschenzimmer Tango tanzen sehen. Ich meine: DA WAR NOCH ETWAS LOS IN DER MEDIENWELT!

Okay. Ich will nicht klagen. Ich kann heute diesen Artikel auf Weichtasten von irgendwo in dieser Welt direkt in die Zeitungsseite platzieren. Keine kochenden Bleisäle mehr. Keine rasselnden Metteure. Kein «huch»- und «hach»-Theater. DAS SIND SCHON VORTEILE!

Auch der Kaffee ist besser geworden. Nur die Welt ist so schlecht geblieben wie eh und je.

Dienstag, 4. August 2015