Milli zog den Schokokuchen aus dem Ofen.
OH NEIN – ANGEBRANNT!
Sie wollte die etwas dunklen Stellen abkratzen. Liess es dann sein. Da kam einfach Rahm drauf. Und die jungen Menschen hatten eh keinen Feingeschmack mehr.
Also was solls – merkt niemand.
Wenn sie an die Essgewohnheiten ihrer Enkel dachte, überkam sie das kalte Grauen: Fritten und Vegi-Burger. Pampige Sandwichs und seltsame Drinks aus diesen Dosen, die so schillernd aussahen wie 1.-August-Raketen.
Servierte sie in ihrer schönsten Kristallkaraffe den hausgemachten Holundersirup, kam Gebrüll auf: «HAST DU KEINE KALTE COLA, OMI?!»
Nein. Hatte sie nicht. Das Gesöff kam ihr nicht ins Haus.
Wolfi, ihr Gatte, war da anders gespult: Bier und Wein. Immerhin wusste er noch einen guten Wurstsalat zu schätzen.
Als sie letztes Mal so etwas ihren Enkeln vorsetzte, war wieder der Teufel los: «Das kommt von einem T i e r, Omi! Wir essen nichts vom Tier!»
Sie schaute auf Leas Ledergürtel: «Aha. UND DAS?! Und deine Riemchensandalen? Und der hippe Rucksack – alles Leder vom Tier. Und nicht vom Mars!»
«Da machen wir eine Ausnahme, Omi!»
Nein – sie verstand die junge Welt nicht mehr. Und auch nicht Lore, ihre Schwiegertochter, die den ganzen Unsinn mittanzte.
«Ach, Omi, lass doch den Jungen ihre Welt!», lachte diese. «Weisst du, dass die Rinder mehr CO2 ausstossen, als alle Autos dieser Erde. Und wir züchten so etwas heran. Nur damit jeder seinen Wurstsalat hat … wir wollen doch eine gesunde Welt, Omilein!»
«OMILEIN!» – sie behandelten Milli, als hätte das Leben sie im letzten Jahrhundert parkiert.
«Wenn die Welt so gesund ist, weshalb habt Ihr denn alle konstant diese Allergien?!», hatte sie aufbegehrt.
Sie lief noch immer auf 100, wenn sie an das letzte Essen dachte. Wolfi hatte seine Jassrunde samt den Weibern eingeladen.
Milli wollte so richtig klotzen: Kotelette-Krone auf Tomaten und Artischocken. Dazu hausgemachte Nudeln. Und zum Dessert: Mousse exotique.
ABER HALLO! SCHON BEIM APÉRO HATTE DER FETTE KURT DAS HANDTUCH GEWORFEN: «Keine Brötchen für mich, Milli – ich habe seit Neustem eine Glutenallergie. Du hast nicht zufällig glutenfreie Biscuits im Haus?» Trottel!
Welche normale Hausfrau hat so etwas schon in ihrer Vorratsdose? Eben!
Es kochte nun eine Diskussion um Allergien auf. Jeder hatte plötzlich irgendwie irgendwo irgendwas.
Die Frau von Kurt bekam rote Flecken von Tomaten. Erna behauptet, sie reagiere mit Atemnot gegen Kaviar. Und als Vally erklärte, es täte ihr leid, sie habe aus Solidarität zu ihren Töchtern auf teilvegane Ernährung umgestellt, da knallten bei Milli alle Sicherungen durch: «ALLERGIEN???», brüllte sie. «Ich bin auch allergisch. Gegen Eure Allergien!»
Sie warf die Kotelette-Krone in den Kübel mit dem abbaubaren Abfall. Und schloss sich heulend im Schlafzimmer ein.
Die Gäste löffelten draussen schweigend die Exoten-Mousse. (Und auch nur, weil Milli nicht gesagt hatte, was drin war: GELATINE VOM SCHWEINEKNOCHEN!).
Jetzt also das Essen mit den Enkeln.
Milli hatte mit der heutigen Welt Frieden geschlossen. Und den Eiskasten mit Cola vollgebüchst.
Dann kaufte sie dieses Burger-Brot in der Konsistenz einer Kleenex-Vollpackung. Und liess vegetarische Hackküchlein in der Pfanne brutzeln.
Die Jungen waren begeistert.
Nur beim Schokokuchen mäkelten sie: «Der schmeckt aber leicht angebrannt, Omi!»