Vom Campieren im Zelt und Diktator…

Illustration: Rebekka Heeb

Sorry. Aber campieren? Und dann noch mit Lagerfeuer­romantik. Dazu Wurst am Spiess… NEIN. NICHT MEINE WELT.

Ich mag die Wurst andersrum.

Mein Vater war allerdings das, was man heute unter NATURFREUND googeln kann. Mit baumelnden Gamellen am Rucksack. Und harten Eiern im Zweierböxchen.

Dazu dann Händeklatschen: «So. Jetzt suchen wir zuerst mal Holz fürs Feuerchen. Und dann wird das so richtig gemütlich!»

Natürlich suchte er nicht. Es waren wir, die sperrige Bäume anschleppten. Blutige Hände bekamen. Und bald einmal mit Dornen gespickt waren wie der Hund mit Zecken.

Was ihren Gatten betraf, hatte meine Mutter das Gemüt einer Milchkuh. Sie schickte mitunter einen langen Blick – aber sie muhte nie. Sie nahm die Sportslaunen ihres Alten als Strafe des Schöpfers, weil sie nach dem dritten Kuss nicht die Notbremse gezogen hatte.

«Unten feines Dörrholz. Und nicht zu satt legen, mein Junge…», winkte der oberste Befehlshaber vom Picknickstuhl die Befehle durch.

Er war der Einzige, der bequem auf seinem Diktatorensessel hockte. Das Fussvolk hatte sich auf fadenscheinige Militärdecken zu fläzen. Und bekam zu den Dornen noch die Ameisen an den Hals.

Die Oma, welche vom Autofenster aus dem frohen Treiben zuschaute («keine hundert Pferde bringen mich im Yogasitz ins Grüne!), schüttelte nur den Kopf, als wir ihr mit unseren blutigen Händen und dornenzerkratztem Kopf das Jammerlied sangen. Sie machte gleich eine Bibelstunde draus: «Jetzt wisst ihr, was der Herr durchgemacht hat! Nehmts als Anzahlung zum Weg in den Himmel!»

Und während die Billigwurst die vier Beine über den Flammen spreizte, bauten die Stechmücken auf meinem zarten Naturafleisch ein Fest.

IST JETZT WOHL KLAR, WESHALB ICH HEUTE UM VERKOKELTE SCHWEINSKOTELETTEN EINEN BOGEN SCHLAGE?

Ich war schon in jungen Jahren der Damasttyp. Und butterte meine Schnittchen gerne zu Hause.

Nun war der Fahrplan meines Trämlervaters gottlob so geschrieben, dass kaum mal ein freier Sonntag fürs Picknick anfiel. Wir nahmen die Exkursion mit der Thermosflasche und dem Russischen Salat in der Blechdose so geduldig auf uns wie den Sportstag in der Schule oder den Besuch in der Schulzahnklinik. Wie Hunde, die bei Regenwetter rausmüssen, zogen wir den Schwanz ein. Und wussten: Da musst du einfach durch.

ABER FREUDE KAM KEINE AUF.

An jenem Tag jedoch, als Vater mit jenen strahlenden Augen, mit denen er auch immer wieder eine neue Billetteuse in seinen Dienst einführte, unseren Stubenteppich einrollte, da hatte ich diese Vorahnung, dass die Kacke bald am Dampfen sein würde.

UND DAS WAR SIE DANN AUCH.

«Überraschung! Überraschung!» – rief unser Naturtyrann. Und knallte einen zentnerschweren Sack auf den Boden.

Dann schaute er triumphierend in die Runde: «Da drin sind unsere Ferien verpackt – EIN CAMPINGZELT! WAS SAGT IHR NUN!»

Niemand sagte etwas.

Aber sowohl meine Mutter wie ihr schönstes Kind wünschten sich nur eines: Lieber Gott, lass den Sack in Flammen aufgehen!

Mein Vater war durch unsern gedämpften Enthusiasmus nicht vom Weg abzubringen: Er schälte verschiedene Stoffe aus dem Sack – dann Etuis mit blechernen Stangen und etwas, das er «Häringe» nannte.

«Nun das Schönste!» – klatschte er jauchzend in die Hände: «ein Gaskocher. Und ein Essset mit Aluminiumtellern – na. Ist euer Vater nicht der Beste?»

ALSO DAS GESCHIRR WAR ES NICHT.

Ein Psychologe hat mir später bei einer 350-Franken-die-Stunde-Sitzung erklärt, diese Teller hätten in meinem Innern den Stock zu einer Meissner-Sammlung gelegt…

Mutter bremste Vaters Enthusiasmus erst, als er unsern Boden mit den Heringen aufspitzte, um das Zelt zu verankern: «Hans – es ist eine billige Mietwohnung. Aber immerhin Riemenparkett!»

«Ich gehe da nicht mit!», brüllte ich, als das seltsame Zelt leicht krummstangig endlich zwischen dem Asparagus und einem nie blühenden Kaktus wackelte. Hier hats ja nicht mal Platz für ein Bett!»

«Braucht es auch nicht …», gab mir Vater einen Stoss in die Rippen. «Im nächsten Sack sind drei Luftmatratzen. HIER – PUSTE DICH MAL RICHTIG AUS…»

Ich blies mir die Birne violett, bis das entsetzlich stinkende Ding endlich etwas Form bekam. Aber schon wedelte Vater lachend mit einer Handpumpe: «Du Dummi – dafür gibts doch so etwas!»

Drei Tage lang litt ich an einer Handgelenk­entzündung.

Ich war jetzt in einem Alter, wo ich Sanddünen und Nightclubs aufmischen wollte – meine Bilder punkto Blasen hatten andere Farben! Deshalb: «Das bringts mir nicht … stell dir all diese Schwabbelbäuche vor. Und dann überall Bikini-­Weiber – rot wie gekochte Hummer…»

Mutter lachte: «…jetzt geh aber vom Gas. Denkst du mir macht das Freude? Aber wir dürfen deinem guten Vater schon einen Gefallen tun. Er hat das Zelt mit Überstunden und Extrafahrten abgestottert…»

Na gut. Wir sind in die Sonnenstube der Schweiz gefahren. Doch leider hatte die gerade Pause. Es schüttete in Strömen, als wir die Stangen zusammensteckten.

Auf seinem Diktatorenstuhl hockte Vater unter dem Regenschirm. Und gab einmal mehr die Direktiven durch: «Nein … das ist eine Mittelstange, du Depp … und Lotti, was willst du die Luftmatratze mit weissen Leintüchern umwickeln? Das zieht nur die Mücken an!»

Gegen drei Uhr morgens wurden wir auf den Gummibetten gegen den See gespült.

Und fünf Stunden später checkten wir klatschnass im Hotel Stella del Ticino ein.

Vater bestand darauf, jeweils das Mittagessen im Hotelgarten auf Campingart zuzubereiten.

Der Hotelier kochte beim Anblick des Gas­kochers – meine Mutter jedoch schaute ihn flehend an. Wie gesagt: Ihr Kuhblick war legendär.

Er wirkte auch hier. Jedenfalls streichelte der Hotelier Mutters Arm: «Sie arme, arme Frau!»

Vom armen Buben hat er nichts gesagt…

Dienstag, 16. Juni 2015