Von Abmagerungskuren und dem «richtigen Mann»

Illustration Rebekka Heeb

Es ist zu viel!

Viel zu viel zu viel!

Julchen meinte es gut. Sie war in Rom. Und ihr Finger war vom Selfie-Auslöser so wenig wegzukriegen wie Tante Mobbel vom Kuchenbuffet.

«DU SIEHST SÜSS AUS!» – schrieb sie dann aus Basel eine MMS. Und hängte das Süsse an.

Ich weiss nicht, wie sie so ein schweres Bild durchgebracht hat. Aber es traf mich mit der Wucht einer Zentner-Vollladung.

Drei Stunden weinte ich bitterlich. Und schaute durch die Tränen auf den kleinen, dicken Mann in der iPhone-Scheibe.

Der Mann sprengte jeden Rahmen. Sein Jackenknopf hatte zum Sprung angesetzt – bei der Gürtelhöhe rauschten die fleischlichen Wellen unter der Kunstseide.

Innocent, durch meine Tränen im Sudoku gestört, warf einen kurzen Blick aufs Monströse: «HAT DIR WIEDER JEMAND SO EIN RUINENBILD GESCHICKT?»

Die Tränen strömten aufs Neue.

Und so blieb die Frage: EIERKUR?

Oder NULL-DIÄT.

Immerhin hat man noch eine Wahl!

Ich war ein schlankes Kind. Zierlich. Mit den Leptosomen-Genen der Ohrengrübler-Art.

JA SCHEISSE – DAS WÄRE MEIN TRAUM GEWESEN. UND IST NATÜRLICH GELOGEN!

Meine Mutter hat es an Geburtstagsfeiern und Leichenessen immer wieder herumerzählt: «Er war bei der Geburt so schwer, dass ich betete: Lass es keinen Elefanten werden.»

Sie liess dann ihre Stimme vibrieren: «Ein kurzer Schrei. Kein langes Gefackel. Der Wonneproppen wollte sofort an die Milch! DA WUSSTE ICH: KÜNFTIG MÜSSTEN WIR DEN WEG ZUM ­EIS­SCHRANK MIT TRETMINEN VERBARRIKA­DIEREN!»

Die Verwandtschaft lachte stets über diese Schilderung. Und dieser Spott war ja auch nicht gerade dafür gemacht, mir die tröstende Praline gegen ein Radieschen ­auszutauschen.

Immerhin – die Säuglingsschwestern sollen vom Jungmann entzückt gewesen sein: «Er hat kein einziges Rünzelchen – so herrlich prall!»

HEUTE KOMMEN NOCH FALTEN ZU DEN SCHWARTEN! UND WENN ICH DANN EINMAL VIER PFUND RUNTERHUNGERE, DANN SIEHT DER HALS SO FALTIG AUS WIE DIE ENG GEBUNDENE SCHNÜRSTELLE BEIM LUFTBALLON.

Es ist nicht schön, alt zu werden. Und dabei dick zu bleiben. Meine Grossmutter (die von der vornehmen, aber auch runderen Seite) hat mich jeweils getröstet: «Du hast unsere Gene geerbt. Und da mischen eben auch ein paar Fettzellen mit. WICHTIG IST DIE GUTE HALTUNG: RÜCKEN GERADE DURCHSTRECKEN – BLICK WIE BAUCH NACH VORNE!»

So sah es dann stets aus, als führe ein Ausrufezeichen einen Medizinball spazieren!

Mit 14 Jahren war ich zum ersten Mal ­unsterblich verliebt. Es war ziemlich einseitig. Sagen wirs so: Es war nicht ganz einfach, als ­Vollmond grosses Feuer zu entfachen.

Damals habe ich zum ersten Mal abgenommen. Es war der Anfang einer Kur, die auch nach einem halben Jahrhundert noch immer ihr Ende sucht.

Der Tipp kam von der Kembserweg-Omi.

Vaters Seite hatte kein Geld. Und auch keinen Speck. «Da ist nichts am Knochen!», pfiff die runde Linie die fettlosen Kommas ins Out.

Die dicken Meyers wollten mir mit Sprüchen wie «Wo nichts ist, kann auch nix werden.» oder «Möchtest du etwa wie der heilige Halloween rumklappern?» den Tag machen. Aber das ging in die Hosen, die schon damals XL waren.

Auch Aufmunterungen wie «zu einem ­richtigen Mann gehört ein richtiger Bauch» waren ­Fehlschüsse. ICH WOLLTE NIE EIN RICHTIGER MANN SEIN.UND EIN BAUCH KAM NUR IM 7. MONAT INFRAGE!

Die Kembserweg-Omi begriff alles. Sie war dürr gebaut, hatte aber ein Herz so dick und weich wie ein gefüllter Berliner: «Ich verstehe dich, mein Kind. Versuchs mal mit den Pillen von Pfarrer Kneipp. Sie wässern ab. Und die Pfunde schmelzen wie das Matterhorn in der Sahara.»

Also investierte ich mein Sackgeld nicht mehr in Karamell-Mu und Marzipankartoffeln, sondern in eine Kurpackung dieser Dragées, die sie ­«Wörisetten» nannten. Ich warf mir eine Handvoll rein. Und verbrachte die kommenden sechs Wochen unterhalb der Klo-Spülung.

«Das ist doch nicht normal!», schrie mein Vater vor der verschlossenen Toilettentüre, als er zur Zahnseide wollte. «Was ist das für ein beschissener Dauerzustand!», brüllte er durchs Schlüsselloch.

Und wo er recht hatte, hatte er recht.

So lernte ich schon früh, dass grosse Verliebtheit immer mit Bauchschmerzen einhergeht. Später habe ich mich durchs junge Leben gehungert. Mein Bauch war nun flach – und mein Blick hatte dieses Melancholische, das die Welt wahnsinnig machte. Das aber nur von der stillen Sehnsucht nach einem Rahmtörtchen herrührte.

Als meine Grossmutter – die Meyer mit dem Speck – ins Alter kam, wurde sie plötzlich dünner. Es war, als hätte der liebe Gott an ihr die Luft rausgelassen. Und überall flatterte unausgefüllte Haut herum, wie vergessene Leintücher an der Wäscheleine.

Sie trank jetzt pro Tag lediglich noch eine ­Flasche von diesem schrecklich klebrigen ­Spumante, den sie aus Asti importieren liess. Dazu eine Zucker­brotschnitte zum Mittagessen. Der Rest war blubberndes Aufstossen. Und rund 30 Kilos weniger.

ICH WOLLTE NACH ALL DEN HARTEIER-KUREN, DEN WUNDERBAREN PULVER-DRINKS UND DER TRENN-DIÄT AUCH DIESE SPUMANTE-­KUR AUSPROBIEREN.

Aber da war die Oma schon tot. Alles weinte am Grab. Und ich wusste, dass es keine Diät, sondern etwas noch Ärgeres gewesen sein musste.

Als Julchen mir nun das Bild von Rom schickte – diese MMS mit dem Knopf, der so satt sass und besser zielte als dieses seltsame deutsche Sturmgewehr –, da gab ich mir wieder mal einen Ruck. Und strich alle Kohlenhydrate aus meinem Menüplan.

Es blieben Salate ohne Öl. Und ein Leben ohne Freude. Dazu Mundgeruch. Denn nichts stinkt schlimmer als ein unbefriedigter Mann und Magen.

Meine Laune wurde ebenso stinkig, bis Innocent mir jenes wunderbare Stück Kuchen ans Bett brachte, das nach Vanille und viel, viel Zuckerguss schmeckte.

Und was sagt dieser Prachtsfreund?

«ZU EINEM RICHTIGEN MANN GEHÖRT EIN RICHTIGER BAUCH!»

Also da braucht mich keiner lange zu über­reden – ich will ein richtiger Mann sein!

Dienstag, 2. Juni 2015