Hundeleben

Wulf gähnte.

«HUNDELEBEN!» – knurrte er dann.

Arne gab ihm einen leichten Kick. Ein knurrendes Tier war schlecht fürs Geschäft.

«Sei still, Hund!», knurrte er. UND WUSSTE NICHT, DASS DIE TROTTOIRMISCHUNG ZU ­SEINEN FÜSSEN WULF HIESS.

Der Hund hatte sich den Namen selber gegeben. Ein bisschen Hundewürde musste sein – und Wulf war ein Hund mit Charakter.

Seine Mutter war eine Pudeldame gewesen. Echte Lady. Mit zweimal Friseur im Monat. Dazu alter Adel: Lona von Kaiserberg.

Sein Vater – ein namenloser Windhund – legte sie hinter dem Kastanienbaum flach. Ein Shorty – zwei Minuten-Sex! Dann hatte sich der Fiesling aus dem Staub gemacht.

Natürlich war niemand da, der sich um den ­kleinen Wulf kümmerte. Der Mischling wurde ins Heim abgegeben. Dort haute er ab. Und landete bei Arne.

Wenn Arne einen guten Tag hatte, war er ein echt feiner Kumpel. Manchmal spielte er dann mit Wulf am Fluss. ODER ER KAUTE IHM EINE WURST!

Heute aber war Arne mies drauf. Seit Stunden hatte er nichts mehr reingezogen. Der Stoff war ausgegangen. Das Kleingeld auch. Nun wurde der Mann mit den durchlöcherten Jeans und den ­fettigen, dünnen Haaren etwas fahrig.

STOFF MUSSTE HER!

Er rückte das Kartonschild «MEIN HUND HAT HUNGER!» in die Sonne. Doch die Passanten ­hasteten vorbei. Sie hatten kein Auge für die Schattenseiten des Alltags – auch wenn diese jetzt in der Sonne Alarm schlugen

Wulf gähnte wieder. KEIN WURSTTAG AM ­HORIZONT!

Es war eine laute Nacht unter der Brücke ­gewesen. Der elektronische Dling-dläng-Sound von Arnes Kumpelrunde ging ihm Schlag für Schlag unters Fell. REINSTE KATZENMUSIK!

Wulf war eher der Mozart-Typ (Mutterseite).

Also nichts mit Schlaf – und jetzt war Wulf einfach nur hundemüde.

UND DANN KAM SIE:

Ein freches Dackelmädchen, das ihm keck ­zuzwinkerte. GOTT WAR DIE HEISS. Und zwar im wahrsten Sinne des Wortes. Sie hatte etwas krumme Beine – aber das ANDERE!

MEIN LIEBER HUND! DIESER GERUCH UND DIESE DUFTWOLKEN!

Wulf zitterte. Er stellte sich auf. Und… «Daisy!», schrie eine Frauenstimme in Panik.

«HUND!», brüllte Arne ebenfalls.

Aber da jagten die beiden Vierbeiner auch schon davon.

Gottlob kannte Wulf diesen stillen, abgelegenen Ort am Fluss… Sie trieben es bunt. Dazwischen lagen sie ermattet im Gras.

Daisy hielt ihren Dackelkopf an Wulfs Bauch.

Und der lächelte gerührt über ihre krummen Beine.

Schliesslich tauchte die Frau auf. Total von der Leine! Ihre vollgelackte Frisur hatte sich in ein ­wildes Durcheinander aufgelöst.

Und wild war auch die Szene: «HAST DU EINEN STAMMBAUM, DAMIT DU DICH VON SO ETWAS VÖGELN LÄSST – DAISY!»

Wie primitiv – dachte Wulf.

«Heee Hund – AUFWACHEN!» – wurde der JETZT aus seinen Träumen geweckt. «… da hat uns jemand tatsächlich einen Zwanzger gerieben …»

WULF ÖFFNETE LANGSAM DIE AUGEN. UND SCHÜTTELTE DEN KOPF.

DANN KAPIERTE ER: EIN TRAUM IN EINEM HUNDELEBEN!

Langsam rappelte er sich auf.

Bestimmt wird sich Arne zuerst Stoff besorgen.

Doch dann?

Der Hund wedelte fast schon glücklich: Vielleicht würde es heute doch noch ein Wurst-Tag werden?

Wulf wedelte, während Arne die Wolldecke und das Bettelschild zusammenpackte.

«So ein Hundeleben!», seufzte eine Passantin zu ihrer Freundin.

«Hermès hat einen neuen Blumenschal im ­Fenster…», sagte die.

Montag, 18. Mai 2015