Schall und Rauch

Es war seine letzte Zigarre.

Noch einmal spielte er mit den Lippen am Deckblatt. Und spürte, wie der sanfte Rauch ihn benebelte.

Dies alles würde nun vorbei sein.

«Die Erlösung naht», hatte sein Arzt gegrinst. Es war ein Doktor des schwarzen Humors. Deshalb mochte Edi ihn. Und seine dunklen Sprüche.

Vermutlich würde er seine Havannas vermissen. Doch bestimmt nicht die jammernden Ratschläge seiner Umgebung: «Hör endlich mit dieser Pafferei auf. Schaust du dir nie das Bild einer Raucherlunge an …»

Doch.

Tat er.

Die Raucherlungen grüssten ihn von allen Zigarettenpackungen.

Er grüsste stets freundlich zurück. Nicht überschwänglich. Aber mit Anstand.

Als 15-Jähriger hatte er seine erste Gauloise reingezogen. Die waren total in. Gauloise bleue. Natürlich ohne Filter.

Es gehörte eben dazu. Wie heute das iPhone 6. Oder Jogging durch die City.

Mit 17 hatte Edi den ersten Joint gedreht.

Brachte gar nichts. Er wurde weder high. Noch euphorisch.

Die anderen schauten mit verklärten Augen in die Wolken. Und flüsterten immer wieder, wie wunderbar das Universum sei.

Edi blieb auf der Erde zurück.

Als sein Onkel ihm an seinem 20. Geburtstag die erste Zigarre anbot und zeigte, wie man deren Kopf zum Glühen brachte – da wusste er: D A S IST ES!

Seither raucht Edi Zigarren.

Mit der Zeit machte die Welt ein Problem daraus. Wo man früher noch anerkennend die Nasenflügel vibrieren liess («… ich liebe Zigarrenrauch …»), ging er den Menschen jetzt auf die Nerven:

«DAS HIER IST KLARES NICHTRAUCHER-LAND, MEIN HERR!»

An Einladungen wurde keine Havannas mehr offeriert. Als Kompensation soffen sich die Herren viagrablau.

Bei hippen Partys wurden Spiegel mit weissen Koksstreifen herumgereicht. Und Pillen in herrlich bunten Farben versprachen Fröhlichkeit, wie einst die bunten Drops in den hohen Gläsern der Tante-­Emma-Läden. Auch die Drops hatte die Zeit dann verboten: KARIES!

Wenn Edi aus den verbotenen Räumen flüchtete und sich im Park eine Zigarre anzündete, machten die Menschen die Natur zu ihrer Sache:

«Sie können hier doch nicht einfach drauflos paffen … denken Sie an das Ozonloch … an die Mitmenschen … Raucher kosten unseren Staat ein Vermögen!»

Edi hätte gerne beigesteuert: «… und bringen ihm über die Tabaksteuer ein noch grösseres Vermögen ein.»

Aber er schwieg feige. Drückte die Zigarre aus. Und machte den Stinkefinger im Hosensack.

«Wir meinen es ja nur gut!» – das hatte er in seinem Leben immer wieder zu hören bekommen. Etwa wenn Klara ihm einfach den Stumpen aus den Fingern zupfte. Energisch mit den Händen die Schwaden wegwedelte. Und lamentierte. «Jetzt schau mal die Vorhänge – schon wieder ganz gelb!»

Vor ein paar Wochen fühlte Edi erstmals den seltsamen Stich in der Brust.

«Nun», grinste sein Arzt, «das musste ja mal kommen!»

Nun sass er auf der Parkbank. Und wusste: Das ist die letzte Zigarre!

Er rauchte sie bis zur Papierbinde. Ein Polizist fand ihn eine Stunde später. Auf Edis Gesicht war ein zufriedenes Lächeln.

In der Todesanzeige las man: «… in seinem 93. Altersjahr hat uns Edi verlassen.»

An der Abdankung flüsterte die Trauergemeinde: «Er war halt ein starker Raucher …»

«SEIN LEBEN WAR SCHALL UND RAUCH», liess Klara auf den Stein hämmern.

Montag, 30. März 2015