Lilly schaute etwas ratlos auf ihr iPhone.
Steve hatte ihr eines auf den 60. Geburtstag geschenkt: «Zeit, dass du mit der modernen Technik zurande kommst, Omi!» – Sie zuckte beim Wort «Omi» noch immer zusammen.
Bei «moderner Technik» zuckte sie noch mehr.
DIE ZEIT JAGTE ZU SCHNELL.
Sie erfanden irgendwelche Ströme, wo man Geschriebenes auf Wolken schicken konnte. Aber sie hatten noch immer keine Lösung, wie man ein Döschen Sardellen problemlos öffnen konnte.
VERRÜCKTE WELT.
«Sag nicht Omi zu mir!», knurrte Lilly. «Ich bin gefühlte 40.» – «Ja, Omi», grinste Steve.
Dann zeigte er ihr ein paar Tricks auf dem neuen Apparat: «Hier kannst du dich bei den SBB einloggen … so brauchst du nicht mehr am Schalter anzustehen. Man nennt dies ‹ein elektronisches Ticket posten›.»
«Aha», sagte Lilly.
Steve fingerlte im Affentempo über die winzigen Tasten: «Dein SBB-Benutzername ist nun LILLI. In Grossbuchstaben. Das Passwort muss etwas schwieriger sein. Etwa «MeisterPropper69». «Ist das o. k.?» – «Weshalb Meister Propper?» – «Weil du immer mit dem Lappen rumfummelst. Und 69 ist ähh … du brauchst einfach noch eine Zahl.»
«Aha!» – «Ja, Omi.»
Das war vor vier Wochen gewesen.
Gut. Das iPhone hatte auch gute Seiten. Sie konnte nun mit gutem Gewissen ihren Enkel beim Studium stören: «Du – das Telefon verlangt einen Einstiegscode … was muss ich da machen?!»
Oder: «VERDAMMTER MIST; es steht: SIM CARD GESPERRT! – DA BEKOMMT MAN JA MASERN!»
Wenn sich Steve früher kaum mal gemeldet hatte – nach so einem Anruf stand er nullkommaplötzlich auf der Matte.
Heute wollte sie nach Zürich. Ihre Freundin Ilse wohnte dort. Also drückte sie die SBB-Taste.
Die SBB schrie nach ihrem Benutzernamen.
«LILLY» gab sie ein.
Das iPhone schüttelte sich vor Lachen. Sie hatte noch zwei Versuche.
Also Telefon zu Steve: «Wie ist mein Passwort bei den SBB?»
«LILLI, Omi!» – «Geht nicht!»
Nach einem längeren Hin und Her fanden sie den Irrtum: «ICH SCHREIBE MICH SEIT 60 JAHREN MIT YPSILON AM SCHLUSS, STEVE!»
«Ich dachte, du seist erst 40, Omi?!»
«MeisterPropper69» wurde problemlos geschluckt. Nun durfte sie das Ticket aussuchen.
WAR JA WIRKLICH PIPIEINFACH!
Leider musste das Ticket auch irgendwie bezahlt werden. Dazu musste sie zum Ticket-Shop. Und der verlangte ein Code-Wort. Sie schellte Steve aus dem Medizin-Praktikum. Er war eben am Sezieren eines Brustbeins.
«Ich komme nicht in den Ticket-Shop!»
Sie hörte ein Genuschel.
«KANNST DU MIT DEINER GROSSMUTTER BITTE LAUTER SPRECHEN!»
«Omi – um mich herum sind 30 Studenten», hörte sie Steves Stimme. Dann eine andere: «Es heisst bestimmt ‹OMI69›.» – Gelächter.
«Wer war das?» – erkundigte sie sich leicht irritiert.
«Mein Professor, Omi – ich muss jetzt…»
Sie gab «OMI69» ein. Und jagte im virtuellen Shop mit einem ebenso virtuellen Einkaufswagen herum.
Ein neuer Code wollte dann die Nummer ihrer Bankcard.
SIE HATTE KEINE BANKCARD!
Hubert, ihr verstorbener Ehemann, war da total dagegen gewesen. «Bares ist Wahres!», hiess seine Devise.
Lilly kam mit einer Stunde Verspätung zum Date mit Ilse. Im Zug hatte sie eine Strafe bezahlen müssen, weil sie ohne Ticket eingestiegen war.
«Du hättest mich zumindest anrufen können», brummte Ilse verstimmt.
Lilly seufzte.
«Können vor Lachen: Der Akku war leer…»