Vom Café Kranzler damals und von Berlin heute

Illustration Rebekka Heeb

Berlin war ja nun wirklich nie meine Stadt.

Als ich 20 Lenze war, hat mir Fred Spillmann die Hucke vollgesabbert, dass Berlin seine beste Zeit gewesen sei: «Du kannst dir ja gar nicht vorstellen …»

Basels blühendste Drag-queen klapperte mit den ­Wimpern. Sie drehte an ihren Klunkern. Und ­streichelte die wuchtige Schlüsselkette am Hals. An der Kette hing ein tellergrosser goldener Affe mit einem fingergrossen Penis. An diesem Stück fädelte Fred seine Schlüssel auf.

ES WAREN VIELE SCHLÜSSEL.

Und als Heidi Abel, die grosse Dame des Schweizer Fernsehens, Basels Couturier in einer Live-Sendung besuchte, konnte sie im letzten Moment noch den Penis-Affen mit einem Taschentuch abdecken, sodass der Couturier aussah, als hätte er vor der Brust Wäsche aufgehängt.

«Der kommt übrigens auch von dort …», hatte Fred auf den Affen gezeigt. Und mich auf Berlin heiss machen wollen. «Du kannst dir ja gar nicht vorstellen …» NEIN. KONNTE ICH NICHT. ABER WOLLTE ICH. So löcherte ich wochenlang meine gute Mutter: «Lass uns nach Berlin fliegen, derweil dein Alter das Schreckhorn besteigt …» («Das Schreckhorn» – so nannte Mutter eine von Vaters Freundinnen. Wir waren eine fröhliche Familie.)

Die Stadt, wo einst der 18-Karat-Penis-Affe auf die Welt kam, hatte kein Gramm Goldenes mehr. Kein Glamour. Keinen Chic. Und nichts mehr übrig , von all dem, was die Basler Dragqueen – «oh, là, là!» – die Augen verdrehen liess. Es gab nur ausgebombte Häuser, die so löchrig waren wie die Zähne des «Schwyndli-Buur» auf der Engstligenalp. Und es gab keine freundlichen Menschen. Alle waren bissig. Mit einem hysterischen Humor. Und mit einer Schnauze, die sie «geschliffen» nannten, die aber einfach nur gallig verbittert war. DAS HÄTTE ICH AUCH BEI TANTE LORE IN AESCHI BEI SPIEZ HABEN KÖNNEN!

Weil Mutter ein grosser Fan von Hildegard Knef war und diese am Ku’damm im Kempinski-Hotel residierte (wie sie bei Bruno, ihrem Haar- und Nägelschleifer erfahren hatte), weil die gute Mama also unbedingt mit Hilde einen heben wollte, buchte sie das «Kempinski» am Ku’damm.

Wir waren fünf Tage in Berlin (so lange brauchte Vater für das Schreckhorn). Und nie hatten wir einen goldenen Penis-Affen geschweige denn Hilde gesehen. Da war nur diese ausgebombte Kirche vis-à-vis. Und – GOTTLOB – das Kaffee Kranzler. Dort sass meine Mutter den ganzen Tag vor etwas, das sie «Weisse mit Schuss» nannten. Es waren viele Schüsse. Und abends zeigte sich Mutter so angeduselt, dass sie behauptete, sie habe mit Hilde Tango getanzt.

Auch der Ausflug in den «Osten» brachte es nicht. Als die Grenzwache auftauchte, befummelte Mutter das grünliche Tuch des armen Zollmann: «Das solltet ihr mal durch den Weichspüler lassen …» UND DANN WURDEN WIR ZURÜCKGESCHICKT. Alles in allem hatte es Vater mit dem Schreckhorn einfacher.

Wir kamen also nach den fünf Tagen ziemlich ernüchtert wieder in Basel an. Das einzige ­Mitbringsel hatten wir im KaDeWe erstanden: gefüllte Appenzeller Biber. Ganz einfach, weil wir es heiss fanden, dass man in Berlin gefüllte Appenzeller Biber kaufen konnte. SO LEGTEN WIR BERLIN AD ACTA. (Vater das Schreckhorn übrigens auch.)

In den letzten 20 Jahren jedoch hat mir nun jeder und alles – wie damals Dragqueen Fred – vorgejault, dass Berlin die einzig wahre Stadt sei. Hier fände das Leben statt. Hier sei Frau Merkel. Und somit alles möglich. KURZ: HIER FINDE JEDER SEIN GLÜCK.

Mein Freund Paulchen pendelt immer wieder an die Spree. Früher als Fernsehmann. Dann als Theaterdirektor auf der Suche nach Talenten. Und stets kam er mit denselben Leuchtaugen zurück wie damals Fred mit dem goldenen Penis-Affen: «Also du kannst dir ja gar nicht vorstellen …» Paulchen sagte plötzlich auch «Stullen». Und «icke …». Und wo er früher schon mal ein Wiener Schnitzel reinpfiff, musste es jetzt eine ­«Curry-Wurst» sein.

Als ich nach über vierzig Jahren wieder ins Flugzeug in die nun deutsche Kapitale stieg (weil man an der Berlinale drei Interviews von Schweizern in Berlin haben wollte), da hatte Paulchen schon alles organisiert. «Das ‹Adlon›. Du musst ins ‹Adlon›. Sie haben alles frisch aufgesülzt. Und wenn du ein Zimmer auf das jüdische Mahnmal nimmst, kommt es billiger als eins aufs Brandenburger Tor …»

Ich nahm die sogenannte Besenkammer – ABER IMMERHIN: «ADLON»! Ein Piccolo mit ­diesem Hütchen, als hätte er eine Tortenschachtel aufs Haar gestülpt, fuhr mich in den obersten Stock. Dort waren dann vier Schlafzimmer, zwei Bäder und ein Salon mit Kaminfeuer. «Es ist uns eine Ehre!», nickte der Piccolo. «Es ist das falsche Zimmer», schüttelte ich den Zeigefinger. Und «es ist schon recht!», sagte die Crew an der Reception. Sie liess eine gigantische Dickbauch-Flasche mit Welcome-­Champagner lossprudeln: «Wir haben sie raufgestuft!»

Es war nicht mehr das graue Berlin von einst. Sie schickten mir Körbe mit Pralinen, Gestecke mit rosigen Lilien und alle drei Stunden einen andern Masseur. SO WURDE ES EIN WUNDERBARES BERLIN. UND ICH RIEF PAULCHEN AN: «ABER HALLO – DU KANNST DIR JA GAR NICHT VORSTELLEN …»

Ich nahm mir schliesslich ein Taxi. Und fuhr zum Ku’damm. Das ‹Kempinski› gabs noch. Die rote Schrift auf dem Dach auch. Aber die Knef war weg. Und auch der Charme von einst.

Im Café Kranzler, wo die Mutter die Huren und eleganten Damen des Kurfürstendamms stundenlang beobachtet hatte, war nun ein Fummelgeschäft. Textilien und Unterwäsche. Um ins Café zu gelangen, gehst du an Baumwolle und Büstenhalter vorbei zu einem Lift, der dich schliesslich in einen oberen Stock zurrt. Dort gibts keine Weisse mit Schuss – aber Pizza. Die Toiletten sind im ­Keller. Und das ist irgendwie symptomatisch für den heutigen Kurfüstendamm: alles im Keller.

Immerhin: das gute alte KaDeWe steht wie eh und je. AUFRECHT WIE EIN PREUSSISCHER SOLDAT. UND ALLES UNTER SCHWEIZER ­FÜHRUNG! Gefüllte Appenzeller Biber gibt es aber auch nicht mehr.

Als ich beim ‹Adlon› meine Rechnung ­bezahlen wollte, winkte der Chef-Concierge ab: «Aber, aber – Ihre Filmgesellschaft hat schon alles erledigt…»

Ich weiss nicht, mit wem ich verwechselt wurde. ABER BERLIN WAR DER WAHNSINN! IHR KÖNNT EUCH JA GAR NICHT VORSTELLEN…

Dienstag, 17. März 2015