Die Golfer-Miezen vom Bläsiring

Illustration Rebekka Heeb

«Einmal will ich es einfach wissen, Klärli!» – Lorli schaute ihre Freundin herausfordernd an.

Klara schob sich ein Sunnereedli rein: «…ja, ja. Das sagst du jetzt seit 40 Jahren. Du bist wie diese Politiker: grosse Rede, warme Luft!»

Lore blickte trotzig zur serbelnden Orchidee im Plastiktöpfchen: «Die machts auch nicht mehr lange!» – «Du gibst zu viel Wasser», seufzte Klara. Und: «…wir haben beide noch nie Fasnacht gemacht, Lore! Und dann gar noch in Versform. Schnitzelbangg ist die höchste Stufe der Poesie. Da muss alles witzig und musikalisch sein … wir zwei aber bekommen nicht einmal ‹Frère Jacques› auf die Reihe!»

Lore zwickte energisch die letzte Orchideenblüte vom Stängel: «Wir wollen ja nicht die Zauberflöte geben, Klara. Wir gehen wild. Nur zu unserm Spass. Da kommt es nicht so drauf an – und Ali hat sich dermassen Mühe gegeben. Sein Vers über Morin ist wirklich ein Brüller …» Sie bekam Augenwasser: «Klärli – du bist meine beste Freundin. Du kannst mich jetzt nicht hängen lassen …» Seit Wochen schon diskutierten die beiden Frauen ­darüber, wie und als was und ob sie überhaupt an dieser Fasnacht aktiv singend eingreifen wollten.

«Ein Leben lang habe ich nie gedurft», stöhnte Lore. «Als Kind schickte sich Fasnacht nicht für ein junges Mädchen. Dann kam Guschti. Der war eifersüchtig wie ein alter Hund. Es musste sich alles nur um ihn drehen. O.k. Wieder nichts. Aber jetzt, wo er endlich unter der Erde ruht, will ich endlich meine Freiheit geniessen …»

Klara nahm die Hand ihrer Freundin: «Lorchen – wir beziehen seit bald 20 Jahren Rente…» – «Ja und?», fauchte Lore. «Wir mischen noch immer alles auf… und schliesslich trägt Ali den Galgen mit den schweren Helgen. Also kein Stress!» Als hätte er auf sein Stichwort gewartet, stürmte ein schwarzhaariger junger Mann ins Stübchen: «Ich hab neues mega Vers – über Puff in Weil:

«Nach Dütschland fahrsch diräggd ins Puff Und d Basler Grytte, die sinn muff Me bürschtet ääne jetzt in Weil Hee Mann – dä Gränzverkehr isch geil!»

Er schaute gespannt in die Runde. «Hat mich Migrations-Trainer geholfen…»

Klara schüttelte missbilligend den Kopf: «MIR geholfen. Und das ist überhaupt nicht lustig … solche Worte wie ähemmm… ‹bürsten› nimmt ein Bebbi an der Fasnacht nicht in den Mund.»

Lore schob Ali grinsend ein Fläschlein Bier zu: «Mir gefällts – Proscht!»

Drei Jahre schon bringt Ali zwei Mal wöchentlich den beiden Frauen ihr Essen von einem Menü-Service heim. Mit der Zeit haben sie sich mit dem jungen Syrer angefreundet. Vier Monate schon ­büffelten die zwei alten Weiber mit ihm auf die Prüfung für den Schweizer Pass. Aber so wunderbar Ali auch Verse drechseln konnte, so mies war sein Gedächtnis für Namen, Orte, Zahlen.

«Ich habe auch lustig Kostüme…», strahlte er nun «liegen in Gang, wegen Mottenkugelduft. Habe Syrisch-Moschus darüber gesprayt.» Eine Minute später trug er etwas Voluminöses ins Zimmer. Das Ganze sah aus wie eine überdimensionierte Polstergruppe aus der Ikea-Retro-Serie. Vor allem aber duftete es wie ein billiges Puff. «…hee Frau… wir gehen als Plüschkatzen. Ist Jubiläums-Kostüm von Löwenfurzer-Gugge in Jahr 2003 …»

«DIESEN GUGGENSACK ZIEHE ICH NICHT AN!», kreischte Klara, «DARIN SEHE ICH DOCH AUS WIE EIN GEFÜLLTER KAFFEEWÄRMER…»

Mit einem Aufschrei nahm Lore ihre Freundin in die Arme: «Du machst also mit, Klärli?! WAHNSINN!»

Es war ein etwas seltsames Dreiergrüpplein, das eine Stunde vor dem Morgestraich im «Braunen Mutz» Mehlsuppe löffelte. «Es ist einfach zu viel, Lore …», schüttelte Klara genervt den Kopf: «… du bist wie ein kleines Kind, das den ganzen Geburtstagskuchen auf einmal aufessen will. Und dann noch mit diesen schrecklichen Kostümen. Ich koche unter diesem Acryl-Plüsch wie ein Dreiminutenei …» – «Das ist das beste Training für heute Abend!», strahlte Lore. Und schob Ali ihre Suppe hin: «Ich bekomme keinen Bissen runter … mein erster Vieruhrschlag! Davon habe ich ein Leben lang geträumt …» – «Dein Max dreht sich im Sarg, wenn er zusehen muss, wie seine Alte als aufgerüschte Golfer-Mieze an die Fasnacht geht …», seufzte Klara. Die drei griffen zu den Golfschlägern, die Ali mitgebracht hatte. Die Schnitzelbangg-Formation hiess nämlich: «d Golfer-Mieze vom Bläsiring». «Isch voll krass Name», hatte Ali gestrahlt. Und natürlich hatte auch hier der Migrations-Trainer gewirkt und den dreien sogar seine eigenen Schläger ausgeliehen.

Regungslos stand die Banggen-Formation in der Nacht und liess den wuchtigen Zauber der donnernden Trommeln und weinenden Piccolos auf sich einwirken. «Der helle Wahn!», sagte Lore immer wieder. Sie lüpfte alle drei Minuten den schweren Löwenkopf, um sich die Tränen wegzuwischen.

Das Grüppchen merkte nicht, wie die Zeit verging. Manchmal zeigten die Menschen mit einem Grinsen auf die drei, die selig hinter einer Clique herschwankten – und es war bereits heller Morgen, als d Golfer-Mieze vom Bläsiring sich im «Stadtkeller» Spiegeleier mit Speck servieren liessen. Und den letzten Morgestraich-Ziigli zusahen, die langsam heimwärts wankten.

Beim Bankenplatz wollte Klärli unbedingt noch für den Abend 10 mal 20 Franken bei Herr Schifferli am Schalter abheben. Die beiden andern beschlossen, sie zu begleiten. Als jedoch der Plüschtiger sein graues Kärtchen aus der Bauch­tasche ziehen wollte, stürmte ein Waggis ins Innere der Geld-Kathedrale. Es waren nur wenige Kunden dort. Der Waggis aber jagte zu Herrn Schifferli. Und bedrohte ihn mit einer Pistole: «Geld her – alles Geld!»

Der Waggis hatte Klara einfach überholt. Und wenn Klara etwas nicht leiden konnte, waren es solche Leute, die sich hinten nicht anstellen wollten. Mit dem Golfschläger klopfte sie dem Waggis auf die Schultern: «Es geht hier der Reihe nach … das gilt auch für Sie!»

Und dann ging gar nichts mehr. Denn der Waggis schoss mit der Pistole an die Decke. Lore schlug ihm mit ihrem Golfschläger die Waffe aus der Hand. Und klopfte ihn durch, wie früher ihre Schlafzimmergarnitur an der Teppichstange.

Als die Polizei mit Blaulicht aufkreuzte, sass Ali auf dem Bankräuber und hielt dessen Hände auf dem Rücken, während die beiden Frauen mit den Golfschlägern drohend danebenstanden.

Natürlich wurde dann nichts mit dem Mittagsschläfchen. Die drei verbrachten Stunden auf dem Polizeiposten. Später auch im Büro des Regionaldirektors der Bank. Dieser überreichte jeder der Plüschmiezen einen Check. Und sagte zu Ali: «Wenn Sie je einen Job im Security-Bereich brauchen… bei uns haben Sie immer offene Türen! Männer wie Sie braucht die Bank!»

Auch die Journalisten kamen im Rudel – und während in der Stadt der Cortège vorbeizog, wurden d Golfer-Mieze zu den Helden des Fasnachtmontags.

Am Mittwochabend, als die wilden Bänggler schliesslich von einer Beizenstube zur andern zogen, waren d Golfer-Mieze vom Bläsiring bereits ein Stück Fasnachtsgeschichte. Ihr Gesang war arg disharmonisch – und das Versmass unter jeder Sau. Aber die Menschen liebten sie für ihren Mut. Und ihre Geschichte. Das ist auch der Grund weshalb ich euch hier die Geschichte weitererzählt habe.

Ach so – Ali hat seit drei Jahren den Schweizer Pass. Und ist Basler Bürger. Kein Mensch hatte ihn bei der Prüfung nach Zahlen gefragt. Die Kommission wollte nur nochmals den Puff-Värs von Weil hören.

Zusammen mit drei Freunden gehört der Syrer heute zu einem unserer Spitzenbängg.

Klara und Lore aber sitzen immer in einer der grossen Beizen und warten auf den Auftritt von Alis Gruppe. Sie heisst jetzt «d Bläsi-Blööser». Die Bänggler verneigen sich dann stets ehrfürchtig vor ihren zwei alten Fans. So ganz bestimmt auch in ein paar Tagen.

Schon schmettern sie los:

«Dr Frangge doobe, d Hoose dunde. In Weil, do mache d Basler d Runde!»

Klara tätschelt dann Lores Hand. «Ich will ja nicht unbescheiden sein, Lorli – aber unser Bums-Vers war besser!»

Hier ist ein Quotes für ein Interview oder bei einem Leitartikel, der vier Zeilen lang ist.

Dienstag, 17. Februar 2015