Hackbraten

Robi quengelte.

Sophie kannte das. Die Schweizer Super-G-Fahrerinnen hatten soeben sein Nachtessen vermiest: keine erhoffte Goldmedaille. Dabei hatte sich das Boulevardblatt des Landes in Grossbuchstaben überschlagen: «MORGEN GIBT’S GOLD!»

Gab es auch. Aber für die andern.

Robi schaute gebannt auf den Bildschirm. Den Hackbraten hooverte er rein wie ein Staubsauger im Speed-Gang. Dabei hatte sie sich so viel Mühe gegeben: Rotwein, Karöttchen, gespickte Zwiebeln (Betty Bossi).

«…er ist nicht wie bei Mutti!», nörgelte er nun.

Sie räumte seinen Teller ab. Warf den Braten an die Wand. Und brüllte los: «Leck mich!»

Von der weissen Wand tropfte die Sauce. Der ­Restbraten lag auf einem verblühten Weihnachts­kaktus. Zwei Scherben des Sonnenblumen-­Service (Villeroy und Boch) hatte es auf ­Commissario Brunettis 3. Leiche geknallt.

«Ja verdammt – gehts noch!», brüllte jetzt Robi.

Da hatte sich Sophie auch schon in ihrem Näh­zimmer eingeschlossen. Auf dem Bügelbrett lag die Lieblingshose ihres Mannes. Moosgrüner Cord. Langsam zerschnitt Sophie die Hosenbeine in Stücke. 30 Jahre waren sie nun verheiratet. Keine schlechte Ehe. Zwei Mädchen – beide besuchten eine Sprachschule in Australien.

«Dort hat es Sonne…», hatten sie argumentiert.

Robi flog mit ihnen hin. Sophie blieb im Regen zurück. Mit der omnipräsenten Schwiegermutter.

O. k. Die alte Dame war in einem Seniorenheim geparkt. Aber an den Wochenenden wurde sie jeweils düstere Wirklichkeit. Für Sophie wars, als ob ein Gewitter über ihren Haushalt aufziehen würde. Sie litt schon am Freitag an Migräne.

«Der Bubi sieht schlecht aus…», sagte Mutti zur Begrüssung. «Du solltest mehr frisches Gemüse kochen…»

Bis zum Dessert musste Sophie jede Woche so einiges hören. Etwa wie die «Mutti» sich für ihre Familie aufgeopfert habe: keine Ferien… nicht mal einen Staubsauger, tätschelte sie die Hand von «Bubi».

«Ja, ja Mutti», lächelte Robi.

«Alles nur für meinen Bubi… ich habe mir jeden Bissen für ihn vom Mund abgespart!»

«Ja, ja Mutti!»

«…und immer am Donnerstag gabs Hackbraten. Weisst du noch Bubi?»

«Ja, ja Mutti!»

Die Schwiegermutter stocherte auf der Pizza herum. Sie schaute Sophie vorwurfsvoll an: ­«Tiefkühlkost… da muss man sich nicht wundern, dass der Bub so käsig aussieht!»

30 Jahre lang hatte Sophie das Gefühl, dass sie als Schwiegertochter eine Niete war. Dass der Bub mit ihr die Arschkarte gezogen habe. Und 30 Jah­re lang hatte sie alles geschluckt – BIS JETZT!

So konnte es nicht weitergehen. Sie musste mit ihrer Schwiegermutter reden.

Als sie das kleine Café der Altersresidenz betrat, thronte diese mit andern Frauen an einem Tisch. Natürlich hielt «Mutti» das grosse Wort: «Also der Bub hätte es nicht besser treffen können… so eine grossartige Köchin … ein Prachtstück…» – sie zeigte Fotos herum, «die Kinder sind in Australien… den Grips haben sie gottlob von ihrer Mutter. Und…»

Sie schaute erschrocken auf: «SOPHIE! DU HIER?! IST ETWAS PASSIERT?!»

Die Schwiegertochter atmete durch. Und grinste dann: «Ich möchte dein Hackbratenrezept!»

Für einen kurzen Augenblick verschlug es «Mutti» die Sprache. Dann schaute sie triumphierend auf die Damenrunde: «Hab ichs nicht gesagt: EIN PRACHTSTÜCK!»

Am nächsten Wochenende legte Mutti dann los:

«Neue Cord-Hose… eine frische Tapete im ­Esszimmer… ja, müsst ihr das Geld so zum ­Fenster rauswerfen…!»

Sie schnüffelte: «Ich hatte nicht mal eine ­Waschmaschine… gell, Bubi!»

«Ja, Mutti.»

Montag, 16. Februar 2015