Vom Adelbodner Rennen und tschechischen Eiern

Illustration Rebekka Heeb

Pavel meinte, er wolle das auch mal erleben: ADEL­BODEN … DIESE WAHNSINNS-FANGEMEINDE MIT DEM NOCH WAHNSINNIGEREN BIERKONSUM… und überhaupt: die tief verschneiten Berge unter dem blauen Himmel.

Da konnte ich ja nicht so sein. Immerhin hat Pavel mir gezeigt, wie sie in Tschechien die Eier kratzen. Und Lebkuchen dekorieren. Die Eier sind total speziell. Sie werden zu stark gesottenen Kunstwerken, bei denen dich jeder Hartaufschlag reut.

ICH MEINE: NICHTS MIT EIERDÄTSCH! ABER HALLO!

Das ist Hartgekochtes vom Feinsten.

Die meisten von den gekratzten oder bemalten Tschechen-Eiern legt der Osterhase in die Nestchen von Sammlern. So ereilt sie ein wunderbares Schicksal, wo sie in einem mit speziellen Eier­löchern gezimmerten Kästchen zusammen mit andern Eierchen vor sich hinstauben, bis sie an eine andere Generation weitervererbt werden. Und die nervt sich dann eidottergelb, weil sie keine Ahnung hat, wie man den ganzen Horror artgerecht und nach Vorschriften entsorgt.

Pavel führte mich also in die Zuckerwelt von Prag ein und zeigte mir parallel dazu die Eier. Es war Anfang Dezember. Lebküchlein hatten Hochbetrieb. Aber mit Eiern war nicht viel los. Und wenn ich endlich eines zu sehen bekam, hatte es den Preis einer ganzen Hühnerfarm.

Nun ja – Pavel hatte noch sein Ei von der letzten Pfingstfeier übrig. Und schenkte es mir. Es war wundervoll bekritzelt und zeigte die berühmte Karlsbrücke mit der Moldau, auf der Schwäne ein Ballett hinlegten.

«Das hat die Oma gemacht», sagte Pavel stolz. Und ich war gerührt, dass ich das Ei der Omi überreicht bekam. Also liess ich ihr meine letzte Schachtel «Frigor dunkel» dort und wickelte das kostbare Stück sorgfältig in Seidenpapier. Dann in eine Unterhose. SO REISTE DAS EI ALS HAND­GEPÄCK. BEQUEM UND SICHER.

Beim Flughafenausgang holte mich dann der etwas überqualifizierte Zollwächter auf die Seite: «Was haben Sie alles dabei?»

«Drei Tonnen verzierte Weihnachtslebküchlein. Und ein Ei!»

Natürlich sprang er auf das Hartgekochte: «Wo ist es?»

«In meiner Unterhose!», sagte ich.

Er wurde rot: «Wenn Sie mich hier dumm anmachen wollen, haben wir ein Problem!»

Ich öffnete den kleinen Chanel-Koffer und packte alles aus. Der Zöllner wurde jetzt weiss: «Packen sies wieder ein!»

DER MANN HATTE NULL DUNST VON SCHWANENSEE.

Zu Hause schälte ich das kostbare Stück sorgfältig aus der – zugebenermassen! – etwas ungewöhnlichen Verpackung: ES WAR NOCH IMMER GANZ!

Als Innocent am andern Tag zum Abendessen einen Salat servierte und die bereits welken Blätter in seiner Geheim­sauce, um die er stets viel Wind macht (dabei ist es immer nur Mayo, Essig, Aromat), als er da wie so oft die armen Grünblätter darin ertränkte, sah ich auch kleine Stückchen eines Hartgekochten herumeiern.

Mir schwante Ungutes. Er aber setzte sich stolz in Positur: «Bei mir verkommt nichts – auch kein altes Ei!»

Ich hyperventilierte: Der Schwanensee tanzte als Fragment neben einer angebräunten Bananen-Schale.

Innocents Kommentar. «Jetzt mach hier keine Oper – ein Ei ist ein Ei!»

Dazu ist nichts zu sagen.

Als nun aber Pavel aus Prag anrief, um mir seine Ankunft zu offenbaren, hiess ich ihn nicht einfach mit einem «Wonderful – I am so happy you come!» willkommen, sondern rief ganz aufgeregt: «NIMM DAS EI MIT!»

Er verstand nicht ganz. Aber ich versprach seiner lieben Oma zehn Schachteln von den «Frigor dunkel», wenn sie mir nochmals den hartgesottenen Schwanensee organisieren könne.

SIE KONNTE.

Wir fuhren in die Berge und er hatte das Ei dabei. Diesmal zeigte es Schneewittchen im Sarg:

«Die Oma hatte leider nichts anderes mehr auf Lager. Einer der weinenden Zwerge ist leicht angeschlagen.»

Tatsächlich liefen über das rote Zipfelkäppchen zarte, feine Risse, die von einem harten Aufschlag herrühren mussten.

«Na dann», sagte ich etwas enttäuscht.

Im kleinen Dorf hatten sie schon alle ihre Stände und Fresszelte aufgestellt. Es roch nach Käsefondue, Gegrilltem und glühendem Wein. Dazu goss es in Strömen. Dennoch schwankten grölende Jungscharen an uns vorbei. Sie sangen das Lied vom Vogel-Lisi. Und Pavel war entzückt: «So ein fröhliches Volk, ihr Schweizer! Passt gar nicht zu euch, dass ihr Eier mit Schneewittchen sammelt.»

Ein tschechischer Riesenslalom-Fahrer kam dann im Riesenslalom unter die ersten 30.

Pavel hatte Tränen in den Augen. Ich auch, als er unsern besten Schweizer vom 19. Platz verdrängte.

«Hast du etwas dagegen, wenn ich dem tschechischen Fahrer das Ei schenke? Er muss sich hier bei diesem wilden Haufen schrecklich einsam fühlen.»

«Nun denn», seufzte ich. Ganz glücklich war ich nicht über den Verzicht, aber wo der eine Zwerg ja eh schon eine Schramme in seiner Mütze hatte…

Wir gingen also zur Siegerehrung. Dort sahen wir den tschechischen Fahrer. «Hallo», strahlte Pavel.

«Hallo», strahlte der Athlet. Und nahm das Ei entgegen.

Er schälte es. Und rief nach Aromat.

EIN EI IST EIN EI.

Dienstag, 27. Januar 2015