Giftzahn cum laude …

Die Damen wirkten trotz «Ich bin es mir wert»-Stundenlifting und Augensack-Straffer etwas ­verbraucht.

Die iPhones aber waren neustes Kaliber.

«O h n e Sound im Ohr ist frau heute doch weg vom Fenster…», kicherte Monique.

Ihr Handy steckte in einer Kunststoffhülle, auf der Minnie Mouse eine Schleife mit ­Strassbrillanten trug.

Sie selber steckte in hautengen Jeans. Und hatte sich doch tatsächlich ihre leicht gerötete Whisky-Hour-Nase mit einem Gold-Kügelchen gepierct.

«In unserm Alter brauchen wir andere ­Herausforderungen als Nasenpiercing. Ich habe mich in einem Computerkurs für Extrem-­Mathematik angemeldet…», meldete sich Anne zu Wort. EXTREM-MATHEMATIK?! – War das jetzt der neuste Schrei? – Monique seufzte.

Anne war stets die Klassenbeste gewesen. ­Vorzugsfach: Trigonometrie.

«Typisch», dachte nun Monique leicht gereizt. Natürlich muss sie uns als Erstes ihren ­unlöschbaren Wissensdurst um die Ohren pfeifen. Jetzt gehts kaum noch eine Viertelstunde und sie zwitschert wieder von ihrem SUMMA CUM LAUDE bei der Doktorarbeit über Cicero.

Monique schaute die einstige Klassen-Prima ­kritisch an: Bei jedem Damentreffen trägt sie ­dieselben verwitterten Pumps. Die Absätze sind bald so krumm wie die Dinge, die ihr Alter in der Bank gedreht hat… arme Streberin. Nach diesem Skandal musste sie böse untendurch. Da hat ihr auch dieser Cicero mit «summa cum» gar nix geholfen…

Die Serviertochter nahm jetzt die Bestellungen auf. «Sechs ist vorbei…», klatschte Monique ­fröhlich in die Hände. «Happy Hour. Ich ­zwitschere mir einen Whisky rein…»

Anne schüttelte wild den Kopf: «Also eine Studie in Salt Lake City hat ergeben, dass Mormonen zehn Jahre älter werden als der durchschnittliche Amerikaner. UND ALLES NUR WEIL SIE KEINEN ALK TRINKEN. Wir wissen: Bei jedem Schluck Schnaps krachen über 100 000 ­Gehirnzellen weg…»

Anne schaute mit ihren kleinen Augen boshaft zu Monique: «…und wenn man mit Gehirnzellen nicht allzu üppig beschenkt worden ist, wäre ein Schluck Orangensaft wohl vernünftiger!»

Peinliche Stille.

Die Frauen stierten etwas geniert auf ihre ­Handys: TYPISCH ANNE. SIE BESASS DAS ­FEINGEFÜHL EINES KEHRICHTEIMERS. HATTE SIE EIGENTLICH NICHT MITBEKOMMEN, DASS MONIQUE EBEN AUS EINER ENTZIEHUNGSKUR ZURÜCK IST? «Also hier habe ich die Bilder von meinen ­Grosskindern…», unterbrach Lore, die ­Harmoniesüchtige der Klasse, das Schweigen. Sie gab das iPhone herum.

Man hörte nun falsche Rufe des Entzückens:

«Ach wie süss…» – «Ist ja ganz die Omi!» –

«…die Zähnchen kann man sicher noch richten!»

Anne blieb stumm. H i e r konnte sie nicht ­mitbieten. Mit Kindern war nullum. D i e s e Lösung war nicht aufgegangen.

Das Schicksal hatte ihr Max in die Karten gemischt. Der Gatte bediente sich sexuell ­anderweitig. Und hatte die «Frau Doktor summa cum laude» lediglich als gesellschaftliches Dekor ans Revers gesteckt.

Die Kellnerin kam mit dem Tablett.

Anne ging auf Monique zu: «Sorry – ich bin schlecht drauf. Du weisst ja, die Sache mit Max…»

Monique prostete ihr zu: «Alles paletti… wir ­kennen doch unseren alten Giftzahn cum laude …» – «Bringen Sie mir auch einen Whisky… einen doppelten», rief Anne zur ­Kellnerin. Und grinste zu Monique: «Heute lassen wirs mal ­krachen – ein paar Hunderttausend mehr oder weniger…» P.S. Der Schluss entspricht n i c h t der Realität – er ist das Hirngespinst eines harmoniesüchtigen Schreibers.

Montag, 26. Januar 2015