Vom Wiener Ganserl und Liesels Weihnachtskugeln

Illustration: Rebekka Heeb

«NEIN – ICH WILL INS HOTEL!» – Seit Tagen versucht mir Innocent Liesels Wohnung in Wien als Alternative schmackhaft zu machen.

«Sie haben ein prächtiges Palais … und da ist es doch unsinnig, für ein Mietbett Geld auszugeben…»

MIETBETT?! – ICH WILL DAS «SACHER».

«Ich will, ich will, ich will! Hast du denn als Trämlerssohn nicht so etwas wie Bescheidenheit gelernt? Ihr lebtet schliesslich nur in einer ­Dreizimmerwohnung mit Gasherd und…»

DEN GASHERD REIBT ER MIR NOCH HEUTE UNTER DIE NASE. UND DIE TRÄMLERFAMILIE AUCH.

Aber mein Freund kapiert die Zusammenhänge nicht: Wenn ich in einem Zwölf-­Zimmer-Palast meine Kindheitsträume von der Prinzessin und Harfenstunden hätte ausleben können, wäre jetzt nicht dieser Drang nach Luxus. Die Wirklichkeit sah bei uns jedoch frostig aus: An verschneiten Dezembermorgen mussten wir zuerst einmal den Gasofen anwerfen, damit die Eisblumen an den Fenstern auftauten. Und die Hemden nicht mehr starr wie Eislutscher über der Stuhllehne klirrten. In der Küche standen die Teller mit den eingefrorenen Essensresten herum, weil wir ab den Abendnachrichten kein warmes Wasser mehr im Boiler hatten. Am wohligsten wars da noch in der Waschküche, wo das Wasser für die schmutzigen Leintücher brodelte. Und Vater schon um vier Uhr, bevor er den Sechsertramschlitten aus dem Morgarten-Depot fuhr, den Waschofen mit Holz eingeheizt hatte.

JA KANN MAN DIESER BITTEREN KINDHEIT DAS SÜSSE VON «SACHER» VERWEIGERN?!

Zugegeben – dank Vaters politischem Kampf und seinen Gewerkschaftern reichte es dann bald einmal für eine Waschmaschine. Zentralheizung. Und eine Gona-Kaffeemaschine. Gona war der Nespresso jener Zeit. Die Maschine bestand aus zwei Glaskugeln. Unten kam Kaffee und Wasser rein – das Ganze wurde hochgekocht. Und hinterliess in der oberen Glasetage einen gefilterten ­Kaffee, der schauderhaft schmeckte.

UND SICHER NICHT SO WIE EIN MOKKA IM «SACHER».

«Weshalb ist diese Dreckschleuder überhaupt in Wien?», erkundige ich mich freundlich nach der lieben Liesel. Innocent hüstelte verlegen: «Als ich ihr erzählte, wir hätten hier zu tun, nahm sie den nächsten Zug.» Er kicherte: «Du weisst ja, wie sie ist …» EBEN. TOTAL IN INNOCENT ­VERSCHOSSEN. ABER DESHALB MUSS ICH NOCH LANGE NICHT IN IHREM BETTCHEN ­SCHLAFEN. ICH NICHT!

Na gut. Ich habe mich dann durch­gesetzt. Okay – es wurde nicht das «Sacher». Es war eine kleine Pension, die «Mandel» hiess und Linoleumböden hatte. Als ich nach meiner Toilette fragte, sagte der Etagenwirt eingeschnappt: «Da hättens eben a Schaisshaferl mitnehmen müassen!» Ich meine: Gasherd, ja. Aber immerhin: familien­eigene ­Toilette – wenn auch auf dem Zwischenboden.

Als ich in der Pension Mandel dann vergeblich auf das Wasser im Lavabo wartete, hörte ich aus dem dunklen Flur einen Schrei: «Ihr armen, armen Buaberln, wos lebts ihr hier imma Loch!»

«Ach Lieselchen», hörte ich den andern ­seufzen, «ich wäre ja so gerne zu dir gekommen. Aber du kennst ihn ja.»

DIESE FIESE RATTE!

Liesel hatte sich ganz auf Weihnachtsfrau ­aufgerüscht. Ich meine: Ihre beiden Möpse waren so hoch gewuchtet, dass sich diese im Dirndl-­Ausschnitt präsentierten wie zwei gigantische Weihnachtskugeln vor dem Einfädeln.

Innocent hatte seine Nase bereits ins Kugel­lager gesteckt und röchelte entrückt. «… das ist für mich Weihnachten, liebe Liesel! So etwas versteht unsereins unter FEST.» Sie strubbelte sein Haar, sodass sein Hörapparat schrille Pfiffe von sich gab: «Mai guats Buaberl!»

DAS BUABERL WIRD 80!

Und Liesel hat auf ihrem Tacho noch einen Zacken darüber.

Vor meinen Augen spielte sich das Krippenspiel der Geriatrie ab.

«Ahhh – und s verfressene Dreckwurschtel iss au da?», schaute sie nun über Innocents zerzupftes Haar in meine Richtung. «Was hasch denn der liaban Liesel mitbrocht?»

«Drei Paar Stützstrümpfe und den Prothesen­kleber für die Dritten, den du gewünscht hast», gab ich eisig Gegenwind.

«Du mai Spassvogerl!», kreischte sie vergnügt und biss Innocent lustig in die Nase, sodass sich diese vom Weinrötlichen ins Tintenblaue färbte. «Y hob e Sürpriis für mai Buaberln.» (Wie gesagt, die Buaberln sind 80 und 55.)

Wir hockten nun im «Sacher» vor dem «Dreistöckerl», was ein Dreistufenteller mit Gebäck und Törtchen ist. Der «Sacher»-Teller kostete so viel wie eine Suite im gleichnamigen Etablissement – also hätten wir gut auch hier übernachten können. Ohne Gang­toilette und 50-Cent-Duschapparat. Innocent tätschelte Liesels Schulter, sodass die Weihnachtskugeln fast über den Dirndlrand gehüpft wären: «Du bist immer so gut zu uns…»

«Joo», strahlte sie, «Y hob e Ganserl im Ofen!»

JETZT WILL UNS DIESE KUH TATSÄCHLICH EINE GANS SERVIEREN! Nicht mit mir. Ich hasse Gänsefleisch. Immer so trocken. Und irgendwie muffig. «DIE GÄNSE HABEN ROM GERETTET – SO ETWAS ESSEN WIR NICHT!», legte ich los.

«Für dich hoob y a Döner vum Kelim – hobs gleich docht, dass d stänggern wirdsch», grinste Liesel.

«Eine Gans!?», jauchzte Innocent, dieser falsche Fünfer. Er mag nämlich kein Geflügel. Wenn ich ihm daheim ein Huhn vorsetze, baut er gleich die Krise: «Das esse ich nicht – und schon gar nicht mit Rotkraut. Du weisst, dass ich Rotkraut hasse … weshalb machst du das?»

Unsereins will ja auch mal Spass haben.

«Innocent isst nichts mit Federn», gab ich meiner Schadenfreude freien Lauf. «Die Federn saans ab», erklärte Liesel trocken. «Die Gans is vun Martini übrig bliieben.»

Ich muss gestehen: Als wir im gros­sen Esssaal des Herrn Grafen sassen, als da alles funkelte und prunkelte, fühlte ich mich erstmals zu Hause. ­Herbert, Liesels Graf von und zu, schaute mich verschwörerisch an: «Y ess au kai Ganserl net … y hab uns von der Mizzi a Kaiserschmarrn bocken lossen.»

UND DANN WURDE DAS RIESENVIEH AUF SILBER AUFGETRAGEN. Stilvoll. Aber trocken. Da hätte man auch einen Staubsaugersack auf Rotkraut servieren können.

«Wie herrlich», sülzte Innocent. Seine ­Pinocchio-Nase wuchs bis zum Herrenzimmer. «Und dann noch Rotkraut! Ach Liesel…»

Zu Hause, im Eisenbett der Pension «Mandel», zischte ich zu Innocent: «Da du Gefiedertes ­plötzlich so gerne isst – an Heiligabend mache ich uns ein Huhn. Und zwar auf Rotkraut!»

Stille.

Dann flüsterte er: «Hast du dir nicht eine Rolex unter dem Baum gewünscht…?»

Hier ist ein Quotes für ein Interview oder bei einem Leitartikel, der vier Zeilen lang ist.

Dienstag, 9. Dezember 2014