Die Knollenblätter-Tragödie

«Ich erwürge sie», dachte Hans.

«Ich bringe ihn um!», dachte Lore.

Es war die gute Basis für eine frohe Ehe.

Sie waren nun 27 Jahre verheiratet. Das war lange. «Allzu lange», dachte er.

«Viel zu lange», dachte sie.

Gut. Es gab die Scheidung. Aber so etwas hätten sie beide als Versagen empfunden. Unsportlich. So, als ob man einen Marathon-Lauf auf halber Strecke abbricht (er). Oder den Italienisch-Kurs für Fortgeschrittene nicht bis zum Ende durchsteht (sie).

Der Tod war da eine passable Lösung. Sauber. Umweltfreundlich für die Umgebung. Und den Freunden blieb das Problem erspart, zu wem sie jetzt halten sollen …

So bastelten beide an einer Lösung herum: «WIE MORDE ICH MICH KLUG IN EINE BESSERE WELT …?»

Es war eine kleine Zeitungsnotiz, die sie auf die Pilze kommen liess: Eine Familie in Kroatien war am eigenen Fund erlegen. Sie hatten den knollenblättrigen Pilz mit dem kommunen Waldchampignon verwechselt. Geschmeckt hat das Gericht an der weissen Sauce allen. Jeder wollte Nachschlag. Und so war das Familiengrab auf einen einzigen Schlag hin gefüllt.

«Schau, schau», dachte Lore.

«Au weia» überlegte Hans.

Drei Tage später meldete Hans seine Lust auf «wieder einmal Pilzschnittchen …»

«Das hatten wir schon lange nicht mehr, Lore …das letzte Mal als Entrée an unserer Verlobung!»

«Ja, Hans», sagte sie dumpf. Und rieb sich unter der Schürze die Hände.

Sie beschlossen, die Verlobungsfeier zu wieder­holen. Zumindest kulinarisch.

Als Lore (« zur Feier des Tages!») eine Flasche Weisswein aus dem Keller holte, hobelte Hans hurtig ein paar von seinen Knollenblättrigen in die Pfanne mit den Champignons.

Das hätte er gar nicht zu tun brauchen. Die Pfanne war bereits voll davon.

Lore hatte zwei Kerzen angezündet. «Irgendwie passend», grinste sie vergnügt in sich hinein. Und: «Ich hätte doch ein kleines Blumenkränzchen binden lassen sollen …»

Auch Hans grinste. Dennoch war die Stimmung harzig. Ein bisschen vergiftet – wie immer während der letzten 324 Monate.

«Schöpf dir schon mal …», setzte Lore ein falsches Lächeln über den noch falscheren Pilzen auf.

«Du zuerst, mein Liebes …!»

Einer schob dem andern den Teller mit den Pilzschnittchen zu.

«Jetzt friss schon!», dachten beide. Und: «Haben wirs nicht schön … auch nach 27 Jahren noch», schleimte Hans.

«Arschloch!», dachte Lore. Und lächelte: «Wunderbar!»

Da schellte es.

Hans öffnete seufzend. Ein Vermummter schob ihn grob zur Seite. Schoss zuerst auf Lore. Dann auf Hans.

Erst jetzt merkte er, dass er sich in der ­Wohnung geirrt hatte: Das war nicht der ­Millionär, der sein Schwarzvermögen unter der Matratze bunkerte, von dem er zufällig von einem Bankbeamten in der Rio-Bar am Tresen gehört hatte.

Das war ein beschissenes, ausgedientes Ehepaar vor dem Nachtessen, Scheisse nochmal!

Er zog die Maske vom Kopf. Der Duft der Pilzschnitten stieg ihm in die Nase.

«Pilzschnitten – Volltreffer!», freute er sich. Und ging über die Platte her.

Die Polizei rätselt noch heute, wie sich die Ereignisse zugetragen haben könnten. Jedenfalls hat sie das Drama mit den drei Toten unter «Unaufgeklärte Fälle» abgelegt.

Stichwort: «Die Knollenblätter-Tragödie».

Gottlob wissen wir hier mehr.

Und auch, dass Scheidung mitunter die weniger giftigere Lösung sein kann…

Montag, 17. November 2014