Von Runzelfeigen und unscharfen Degen...

Illustration: Rebekka Heeb

Auf unserer Insel erwartet uns ein Meer von Quallen. Und ein Meer von Tomaten.

ABER FANGEN WIR AM ANFANG AN.

UND AM ANFANG WAR GIANNI SOWIE SEINE NOTORISCHE „ACH GOTT – JETZT KOMMEN D I E WIEDER!“- MIENE, WENN WIR IHN IN SEINEM ARBEITSSCHLAF STÖREN.

„Man kann nicht ins Wasser…“, reibt sich Gianni schadenfroh die Hände. „…und es ist Regen angesagt!“.

Die Menschen hier leben davon, dass die Sonne scheint. Dass die Touristen schwimmen gehen können. Und irgend so ein verfickter Russe die Sau raus lässt.

Hat der Neuzeit-Schiwago genug von Ginos Hausmacher-Grappa (95 Prozent Reinalkohol – 5 Prozent Weihwasser) intus, hält heute so ein sibirischer Gas-Baron das ganze Dorf frei. Er verteilt sturzbesoffen sein Schwarzvermögen unter den Weibern am Hafen. Das ist besser als Holz-Pinocchios aus China verkaufen zu müssen.

Keine Frage: tempora mutantur…

MIT SOLCHEN GÄSTEN MACHT HEUTE UNSER ORT, AN DEM EINST DIE HOLLÄNDISCHE KÖNIGIN IHREN VORNEHMEN KÄSE ABLUD DIE KOHLE!

Dennoch werden die teuren Touristen genüsslich mit Hiobsbotschaften wie „es hat wieder die Gartenpumpe verknallt“ angemiest.

Wenn sich einer geschworen hat „DIESMAL LASSE ICH MIR DIE ZWEI SONNENWOCHEN AM MEER ABER NICHT VERSAUEN!“ kommt das Blinzeln zum Himmel. Der Griff an die Eier (jeder toskanische Gärtner hat seine eigene kleine Sack-Meteo-Station). Und das Gebrummel zwischen einem ausgesaugten Toscani-Stumpen: „ Es wird Regen geben – mindestens sechs Wochen lang!“.

Die Lebensphilosophie der Inselbewohner lautet (wie übrigens in den meisten Touristenorten dieser Welt): „ TOURIS HER! GELD ABGEBEN – UND DANN ZIEHT MAL ALLE LEINE. ABER DALLIDALLI…“

Jedes Mal, wenn ich in Siena die Schnellstrasse verlasse und vor Grossetto die ersten Hügel der Maremma wie Dynosaurier-Buckel aufleuchten, tätschle ich Innocents Hand am Nebensitz: „VERSPRICH MIR, DASS DU NCHT WIEDER GLEICH DURCHSTARTEN WIRST! WIR WOLLENS HIER DOCH GEMÜTLICH UND SCHÖN HABEN…“

GEMÜTLICH?

Alleine schon solche Worte jagen unserm Freund den Blutdruck ins Herzflimmerstadium, so dass sein Gesicht die Farbschattierungen einer Regenbogenfahne durchmacht: „… WENN ER WIEDER DIE FEIGEN HAT VERDÖRREN LASSEN, BRINGE ICH IHN UM!“.

ER - das ist Gianni, unser Mann für alles.

Und natürlich sind alle Feigen dörr und runzlig, wie die Lenden von Giannis Grossmutter Loredana (99 ½ Jahre)

Seit Wochen hat Innocent in Basel davon geträumt, wie er sich beim Metzger am Hafen 75 Gramm vom feinen Wildsauschinken absäbeln lässt . Diesen um die hauseigene Feige wickelt. Und sich so paradiesischen Genüssen hingibt.

Das Problem fängt schon in der Metzgerei an.

Pipo schnetzelt mit einem langen Säbel, der leider so wenig haut wie die Pointen einer SF-Samstag-Abendshow am Wildsaustotzen herum.

Natürlich sind die Schnippelchen dann unschön anzusehen. Herr Innocent macht gleich mal auf Krawallröhre: „Das akzeptiere ich nicht. Ich habe hauchfein gesagt…finofino!…man muss die Zeitung hindurchlesen können und…“

DA HAT PIPO AUCH SCHON DEN STINKEFINGER AUSGEPACKT UND GEBRÜLLT, WENN DER FINO-FINO-FINOCCHIO NICHT SOFORT VON SEINER SAU VERSCHWINDEN WÜRDE, WERDE ER DEN SÄBEL BALD ANDERSWO ANSETZEN…“

Also derart konnte keine Freude aufkommen. Weder dies-noch jenseits der Wildsau-Theke.

Die Alternative war Abpack-Schinken aus Ungarn beim COOP von Orbetello. Aber da gab’s nur 100-Gramm-Päckchen. Und das reichte schon um dem Verwaltungsrat der Firma einen Brief zu schreiben: ob sich die Herrschaften schon überlegt hätten, dass auf dieser Welt auch alleinstehende Menschen existieren würden:“…UND WER UNTER UNS ALLEINSTEHENDEN VERMAG SCHON MEHR ALS 75 GRAMM SCHINKEN ZU BEZAHLEN UND ZU VERDAUEN – ICH ERWARTE EINE ANTWORT, MEINE DAMEN UND HERREN!“

Ich versuchte einen kleinen Einwand in der Form: „aber ich bin ja auch noch da!“.

S e i n e Antwort: „Du zählst nicht!“.

Und da war ich schon mal zünftig eingeschnappt, bevor ich das Tomatenmeer gesehen habe.

Das Tomatenmeer war ein wirklich solches. Ich meine: Tomaten wähnt einer am Strunk. Prall. Rund. So herrlich zum Dreinbeissen und mit der geschickt platzierten Bemerkung zu den Gästen:“Die sind aus dem e i g e n e n Garten…“

Natürlich müssen sie (die Gäste) dann so etwas strahlend schlucken ,obwohl jedem olivgrün vor Neid das Gürgelchen vibriert. Sie kosten verzückt vom Salat. „Das Rezept? – Ach Gottchen, nur Meersalz, Tomaten natürlich hauseigenes Olivenöl!“

Jetzt verbläst es sie schier vor Missgunst. Aber wenn wir nicht dick angeben könnten, hätten wir sie ja auch nicht hierher gelotzt. Die Angabe ist unser Bad in der Sonne, quasi. Also schleimen sich die Geladenen schweren Herzens durchs Programm: „EINFACH KÖSTLICH…IST HALT DOCH ETWAS GANZ ANDERES SO FRISCH GEPFLÜCKT…UND DANN DIE STÄNDIGE SONNE HIER!“

Natürlich wissen wir, dass sie denken: „Was soll der Quatsch…die Bio-Tomate von Aldi schmeckt auch nicht anders. Und unsereiner macht nicht so viel Wind darum…“

SIE HABEN NATÜRLICH RECHT. ABER SIE DÜRFEN HIER GAR NICHT RECHT HABEN, WEIL SIE GÄSTE SIND.

UND DESHALB IST ES SO SCHÖN GÄSTE ZU HABEN.

(Dies nur als kleiner philosophischer Moment zum Tag)

Und nun also ein Meer von Tomaten. Doch keine am Strunk. Alle am Boden. Tausende von Fliegen über ihnen. Millionen von Käfern in ihnen. Eine undefinierbare Sauce von Dreck und Vogelmist unter ihnen.

ABER HALLO! Da kannst du dir dann dein “ „HAUSGEREIFT – IST HALT DOCH EIN GANZ ANDERER BISS!“ an den Ihr wisst schon stecken.

Gianni kommt herbei geschlurbt.Ich zähle auf zehn. Hole Luft. Und brülle dennoch los: „WAS SOLL DAS…UND JETZT KOMM MIR NICHT WIEDER MIT DEM KLIMAWANDEL!“.

Gianni schaut gähnend auf die drei Zentner explodierter Tomaten: „Ach d a s, das war der Pomodoro-Wurm!“.

Gestern sind die ersten Gäste angefahren. Und da hat doch so eine Nervensäge tatsächlich einen Korb mit knallroten Tomaten ausgepackt:“Die sind von unserem Dugginger Garten…ein unglaublicher Genuss!“.

Abends hockten wir davor und sülzten dumme Dinge wie“ WAHHHNSINN – DIESES AROMA!“ und „ALSO ES IST EBEN DOCH EIN RIESEN UNTERSCHIED!“.

Zur Strafe haben wir die Gäste dann ins Meer zum Schwimmen geschickt.

Millionen von Quallen warteten schon…

Dienstag, 30. September 2014