Von Liesels Botox-Kur und Domingos Frosch im Hals

Illustration: Rebekka Heeb

«HUBERTUS – DIE BUABARLN SAAN DA!» – Liesel tanzte uns frisch aufgemotzt entgegen. «Schau ihre Lippen», zischte ich zu Innocent, «zwei Gummimatratzen sind ein Dreck dagegen. UND ALLES NUR FÜR DICH!»

Es ist nicht so, dass Innocent mit Gummimatratzen etwas anstellen könnte. Der Gummifetisch ist an ihm vorbeigegangen. Sein heissester Fetisch ist das kalte Oktober-Bier – «aazopft is». Liesel sieht den Zapfen anders. DAS AUFGERÜSCHTE SALZ­BURGER TRACHTENWEIB STEHT AUFS ­«BASLER BUTZI-BUABERL» WIE DER SCHLAGOBERS AUF DER TORTE.

«Sie war wieder in der Klinik», raunt der hurtig herbeigehoppelte Hubertus verschwörerisch.

WAS DER NICHT SAGT!

Schon hüpft die bald 100-Jährige in ihrem Dirndl trällernd auf uns zu. An der neuen Liesel ist jeder Ton frisch betoniert. Und jede freie Stelle ausgeboxt – ach nein, AUSGEBOTOXT, jetzt tut nicht so pingelig, ihr wisst schon, was ich meine: Nadel rein, Saft raus – und schon sieht auch die Omi wie B-Hörnchens jüngste Tochter aus …

«Losst mai Tellen-Monderl on s Brüschtel drücken …» In einer wohlverständlichen ­deutschen Sprache wollte die Aufgespritzte somit sagen: «KOMMT AN MEINE WONNENNIPPEL – IHR TOLLEN TELLENSÖHNE!»

Ich brauch euch ja nicht lange zu schildern, wer sich sofort in den Luftmatratzen eingrub. Irgendwo aus zwei Fleischhügeln, die von einem immensen Stahlkorsett wie die Hinterbühne der Staatsoper in die Höhe gehievt wurden, ­wimmerte Innocents stimmliches Organ: «Ohhh Liesel … ohhh Liesel … wie habe ich das vermisst!»

KUNSTSTÜCK – SEIT ZWEI WOCHEN MACHT DER HERR AUF FLEISCHLOS. NUR KÄSE, EIER, FISCH UND SO. DA MÜSSEN IHM JA LIESELS SPECKIGE WUMMER WIE DEM DACKEL DIE SAUWURST EINFAHREN.

«Ach – und das olte Dreck-Hunderl hast auch mitgnommen», verspritzte die Giftschleuder gleich mal Bissiges in meine Richtung. Da beschloss ich auf der Stelle, die 150 Gramm Migros-Trüffel, die wir für das Salzburger ­Horror-Noggerl eingekauft haben, gleich mal ­selber reinzukugeln.

Hubertus, der gute und vor Kummer aus­gemergelte Spross aus dem altösterreichischen «Küss die Hand»-Staubzuckeradel, schleppte die zahlreichen Gepäckstücke des «Dreck-Hunderls» eigenhändig ins Gästezimmer.

«Unsere Frau Gerta hots Ferien», log der Fleischkloss neben ihrem Gatten zuckersüss. Dabei wusste jeder in ganz Salzburg, dass die alte Gallenschleuder auch das 187. Dienstmädchen mit ihrem ­hysterischen Gekeife aus dem Haus vertrieben hat. Die Angestellten im Hause der schrillen Krawallschachtel halten es da gerade so lange aus wie ein Wüstenfloh auf der Kunsteisbahn. Entsprechend sind Hubertus noble Alltagsfloskeln wie «Ganz Ihr Diener, gnädige Frau» auch absolut wörtlich zu nehmen. ER MUSS SELBER HAND ANLEGEN!

Liesel dreht sich nun wie ein etwas zu stark aufgegangener Derwisch im Kreise: «No – wos sogts denn Buaberln …?» Sie zwinkerte mit ihrem Pfund Falschwimpern Innocent so heftig zu, dass es ihm beinahe das Toupet vom Kopf geweht hätte. «… ist euer ­Solz­burger Maaderl net e fesches Palatschinkerl …»

ICH BRAUCHE WOHL KOCHTECHNISCH NICHT ZU ERKLÄREN, DASS PALATSCHINKEN LAUBBLATTDÜNN UND FLUNDERFLACH SIND. DIESER VERGLEICH HINKTE SOMIT TOTAL LIESELS ARSCH HINTERHER …

«Ach Liesel», seufzte unser Freund so verklärt wie der Diabetiker vor der Fünf-Stock-Torte.

Ich wusste, wie man solche Dackelblicke rasch wieder aufs Sachliche zurückbinden konnte: «WAS HAT DICH DIE GANZE RENOVATION GEKOSTET?»

Nun schepperte Hubertus mit seinem ­blechernen Lachen los: «Au mei – der hots dir aber gezündet, Lieserl.» Doch Innocents Alarmglocken ratterten schon auf Vollhorn: «WAS MEINT DER MIT GEKOSTET, ­LIESERL?!» Die Apostrophierte warf mir einen Blick zu, der auch ohne Waffenschein 20 königliche Elefanten nieder­gemäht hätte. «DU KENNST DOCH DIE GIFT­GOSCHEN VON DIESEM ÜBERFRESSENEN PINOCCHIO», schrie sie hysterisch. Und natürlich musste Innocent die Trulla sofort in Schutz nehmen: «JETZT REISS ICH DIR DANN DEN GIFTZAHN RAUS – UND DORT GIBTS DANN KEINE TEUREN IMPLANTATE, DU NEIDSCHLANGE!»

Und so jemandem habe ich 44 Jahre lang zum Frühstück den Apfel geschält!

Nun gut – man muss neidlos zugeben: Wie bald 90 sieht die Liesel nicht aus. WIRKLICH NICHT. Man gibt ihr höchstens 89. Und keine Sekunde drüber. Geistig hat sie sich eh schon immer auf dem Stand der Vierjährigen halten können.

«Leider singts der Dodo net … er hots an Frosch im Hols», wechselt Liesel nun hurtig das Thema. Der Dodo ist Placido Domingo. Und weil die Liesel ihm mal irgendwann im letzten Jahrhundert am Salzburger Festival-Ball auf den Knien rumgehopst ist, nennt sie ihn «mei Dodo». Nachdem sie ihm damals mit ihrer zentnerschweren Rumfummelei die Kniescheiben zerschmettert hatte, ist jetzt auch die Stimme des einstigen Tenors im Keller. Genauer: im Bariton-Fach.

Leider bekundete der Tenor als Bariton neben Netrebkos Sopran einige Mühe. Er musste – nachdem er sich vier-, fünfmal als Duca durchs Feld gehustet hatte – das Handtuch werfen.

«Ober d Netrebko als Leonora iss a Knüller», tätschelte Liesel dem enttäuschten Innocent die Wangen. Dann als Zückerchen: «Si is a bisserl faisser wurden. Ober em Stimmerl homn die Pfundarl net gschoodet …» Dann klatschte sie in die Hände: «So Buaberln – zum Willkumm hob y Heidelbeer-Datscherl bocken …»

Neidlos zugegeben: ES SIND DIE BESTEN DER WELT!

Ich beschloss auf der Stelle, Liesel die 150 Gramm Migros-Trüffel dennoch zu schenken. Verfressenheit macht eine friedlichere Welt.

Dienstag, 16. September 2014